4.9
mögen nie die Pflicht selbst aufzuheben und einen Grund ab.
zugeben, warum wir das Gebot unerfüllt lassen.“ Diesem Grund
satz, den er in jungen Jahren bereits darlegte, ist er treu
geblieben Zeit seines Lebens. So seltsam auch das Gewand
ist, in das der junge Feuerbach seine Ideen über Ethik hüllte
— er untersucht nämlich das Recht der Vernunft, sich einen
Naturzustand, eine Idylle vorzustellen — so sind dieselben doch
von gewaltiger Höhe.) „Jeder,“ sagt er, „dem die Natur neben
der Gabe des Verstandes auch noch die eines Herzens verliehen
hat, muss sich sonderbar überrascht finden, wenn er aus dem
Reich der Träume in das Land derWirklichkeit hinübertritt.“
Denn alle seine herrlichen Erwartungen sind getäuscht: Ver-
derbnis und Entartung der Menschheit, Kultur des Verstandes
ohne solche des Willens, die Vernunft ein Werkzeug der Sinn-
lichkeit, Wohlleben und Elend — die Tugend entthront, das
Laster im Triumph. Man braucht nicht so tief wie Rousseau
zu empfinden, undankbar gegen Welt und Staat zu sein, um
mit Abscheu sich von den Uebeln im Schosse der Gesell.
schaft abzuwenden und den Wunsch nach einer besseren Wirk-
lichkeit zu empfinden. Wie aber ihn realisieren?
„Die Würde der Menschheit, die grosse Bestimmung jedes
Individuums, die Regelmässigkeiten der vernunftlosen Natur,
lassen uns mit Recht vermuten, dass das Menschengeschlecht
in rastlosem Streben der Vollendung zueile, dass allen den
grossen Verirrungen unseres Geschlechts, in denen es von
Anfang an herumgeschleudert wurde, ... all den scheinbaren
Rückfällen in die alte Verdorbenheit, ... der weise Plan einer
allmächtigen Güte, die es seiner Vollendung immer näher
führt, zugrunde liege, dass die Stufe, auf der wir jetzt uns
erblicken, nur ein Punkt sei, den es wieder verlassen müsse.
um sich zu dem idealischen Ziele seiner Bestimmung hinaufzu:
arbeiten. Die Weltgeschichte berechtigt uns zu dieser Hoff-
nung und der sicherste Stützpunkt derselben ist die Pflicht.“
Wer hat nicht ihre Stimme gehört, die uns alle zur Veredelung
unseres Geschlechts auffordert, die uns allein den Beruf erteilt,
ım Plan der Schöpfung mitzuwirken? Können wir aber an
der Möglichkeit dessen zweifeln, was uns die Vernunft ge-
Meissners „Apollo“. S. 35
Fleischmann, Anselm v. Feuerbach.
u
Stadtbhiblicthe:
iHrahbere