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II. Die Festtage 6—
„die Maienwonne der Wiesen; er weiß, was schon Grimmels—
hausen*) ihm nachrühmte, die stumme Natur zu beleben und
selbst reden zu lassen. Gleich der Luthers klingt die Sprache
des Hans Sachs wie eine Weissagung auf ein goldenes Zeit—
alter der Literatur. Vor ihm gab es in Deutschland eine
fremde Sprache und eine derbe Volkssprache, die den Gelehrten
zu ungelenk erschien, als daß sie ihre Gedanken darin hätten
aussprechen können. Diese Scheidung hörte auf; denn jetzt
drang die Sprache zu den Herzen der Geringen wie der
Großen.
Am selbständigsten jedoch führt Hans Sachs den Kampf
gegen den Aberglauben, gegen das hochfahrende Wesen, gegen die
plumpe Habsucht und gegen die rohe Unwissenheit im Drama.
So meinte er noch eindringlicher wirken zu können. Wir
wollen dies Gebiet losgelöst von seiner anderen Thätigkeit
betrachten; denn in ihm war er ein wirklicher Reformator.
Was gab es denn vor Hans Sachs in allen damaligen
Kulturländern für Dramen, da das Drama der Alten noch
nicht wieder entdeckt war? So müssen wir fragen; denn ihn
an Späteren zu messen, ist unbillig.
Der eine Teil beschränkte sich auf das Kirchliche, von
dem die dramatische wie alle Kunst überhaupt ausgegangen
war: kirchliche Spiele, Mysterien, meist in lateinischer Sprache,
oder höchstens Deutsch mit Lateinisch gemischt. Bei wenigen
Tastversuchen über die ursprüngliche Schranke hinaus hatte es
sein Bewenden gehabt. Der andere Teil knüpfte an die heid—
nische Mummerei, das fasnacht-scheinpart-vermummen, an, wie
Hans Sachs sagt. Das waren die Fastnachtspiele. Die aus
dem 15. Jahrhunderte erhaltenen sind im Grunde genommen
nur Reden mit gelegentlichen Zwischenbemerkungen von zufällig
anwesenden Personen, und sie stoßen uns sehr oft durch ihre
Ungebärdigkeit und Unflätigkeit ab. Bei Hans Sachs dagegen,“
») Grimmelshausen, Simplicissimus Buch 6, Kapitel 9, Seite 508,
Braunes Neudrucke.