4.]
Welche Früchte mußte der Verkehr mit diesen beiden
ethischen Naturen bei einem Ordensbruder tragen, der
Monch aus sittlichem Streben und in Nacheiferung der
Armut Christi Bettelmönch geworden war! Diese Früchte
sind uns bezeugt. Seit dem Sommersemester 1511 weilte
ein Student der Jurisprudenz, ein lustiger Gefolgsmann
der Humanisten, in Wittenberg, der spätere Veformator
Justus Jonas.'o) Damals predigte Linck in der von
Mykonius dem Stalle zu Bethlehem verglichenen,“!) aus
Holz und Lehm gefügten, baufälligen Kapelle, die inmitten
der bereits angelegten Fundamente der Augustinerkirche stand
Ein an der Mittagsseite aufgestellter Predigtstuhl von alten,
ungehobelten Brettern, anderthalb Ellen hoch, machte ein
gar wenig ansehnliches, aber bedeutsames Inventarstück
dieses dürftigen Raumes aus, welches man sonst in der—
gleichen Kirchlein nicht zu finden gewohnt war. „Aus
diesem“, sagt der erwähnte Geschichtsschreiber, „ist der Geist
des Mundes des Herrn angegangen und hat den Antichrist
herabgeblasen.“2) Auch Jonas wurde in diesen kleinen
Andachtsraum geführt. Wir wissen nicht, ob Lincks Ruf,
ob ein über das Meßceremoniell hinausgehendes, religiöses
Bedürfnis den ersten Anlaß gab. Jedenfalls blieb er fortan
ein eifriger Besucher jener Predigten, die er noch 28 Jahre
später als „conciones sanctissimas et evangelicas — sehr
heilige und evangelische Predigten“ zu preisen Gelegenheit
nahm, und von solch' nachhaltigem Einfluß waren dieselben
auf das Gemüt des kaum neunzehnjährigen Jünglings, daß
sie ihm Linck als seinen geistlichen Vater zu betrachten Anlaß
gaben.22) Wann Wenzel dieses Amt zuerst erhalten hat,
ist nicht bekannt; im genannten Sommer verkündete er das
Wort bereits an den Festtagen.*) Als dann 1512 Cuther