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Aufs sechste. Dieweil wir denn die Aufsätze wollen
mäßigen, dünkt es uns gut, daß unsere Brüder in Rlöstern
ihren Obersten unterthänig sein sollen aus freier Liebe, auf
daß wir unter uns selbst und vor jedermann ohne Ärgernis
wandeln, damit nicht Ursache gegeben wird den Wider—
sachern, zu lästern des heilige Evangelium.“
Wir sehen, die Beschlüsse richteten sich abgesehen von
der Vefreiung des Mönchgelübdes gegen klösterliche Miß—
bräuche: Bettel und Votivmessen. Die Messe an und für
sich verurteilte das Kapitel nicht, und weun uns nicht
Büttel in seinem nürnberger Schreiben berichtete, daß die
Ansicht der Doktoren sich nur gegen die Mißbräuche der—
selben gerichtet hätte, wüßten wir von diesem Gegenstande
ebensowenig wie von der Abendmahlsfrage, ob überhaupt
die Väter jene Forderungen der wittenberger Brüder in
den Bereich ihrer Verhandlung gezogen hatten. Diese
Glaubensfragen blieben unentschieden. Verbot aber die Ver—
sammlung den Bettel und die Votivmesse, so entzog sie
damit den meisten Kloͤstern thatsächlich ihre Existenzmittel
und beschleunigte dadurch die Auflösung des Ordens; denn
solch ein idealer Zustand, wie ihn diese sechs Artikel zu
suchten, war auf die Dauer unhaltbar. Der Vikar, welcher
allerdings vor der Hhand an die Durchführbarkeit eines
solchen Gemeinschaftslebens zu glauben schien, setzte damit
doch zu viel Vertrauen in den Ernst, die Gesinnungsrein—
heit und Aufopferungsfähigkeit seiner Mönche. Die That⸗
sachen sollten ihn bald eines anderen belehren.
Fassen wir uns endlich die gesamte Vertretung der
Songregation, die in den ersten Tagen des Jannar 1521 in
Wittenberg den großen Schritt auf dem Wege einer praktischen
Reformation zu thun wagte, ins Auge, so überrascht uns