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Es war ein schöner Zug des kaiserlichen Herrn, daß er an
den Männern, die er zu seinen Mitarbeitern gewählt hatte, mit
unerschütterlicher Treue festhielt, daß er sie neidlos neben sich
wirken sah, und daß er ihrer Verdienste sein Leben lang in
unwandelbarer Dankbarkeit gedachte. So bestand denn auch
zwischen ihm und seinem Kanzler, dem Fürsten Bismarck, das
schönste Verhältnis. Wie dieser mit Leib und Seele dem Dienste
seines geliebten Herrn ergeben war, so verband den Kaiser die
treueste Anhänglichkeit mit seinem großen Kanzler, und es war
rührend zu sehen, wie er sich niemals genug thun konnte, ihn
zu ehren und auszuzeichnen Auf den Rand eines Entlassungs—
gesuches, das der Fürst im Jahre 1877 einreichte, schrieb er das
einzige Wort: „Niemals!“ Am Sedantage des Jahres 1884
übersandte er ihm den Orden pour le mérite mit einem überaus
herzlichen Schreiben. Und als Fürst Bismarck am 1. April 1885
seinen 70. Geburtstag feierte, sandte er ihm eine Wiederholung
des großen, von Anton von Werner gemalten Bildes: die
Kaiserproklamation zu Versailles, von einem Handschreiben be—
gleitet, das mit folgenden Worten schloß: „Sie, mein lieber Fürst,
wissen, wie in mir jederzeit das vollste Vertrauen, die aufrichtigste
Zuneigung und das wärmste Dankgefühl für Sie leben wird.
Ihnen sage ich daher mit diesem nichts, was ich Ihnen nicht oft
genug ausgesprochen habe, und ich denke, daß dieses Bild noch
Ihren späten Nachkommen vor Augen stellen wird, daß Ihr
Kaiser und König und sein Haus sich dessen wohl bewußt waren,
was wir Ihnen zu danken haben. Mit diesen Gesinnungen und
Gefühlen endige ich diese Zeilen, als über das Grab hinaus
dauernd. Ihr dankbar und treu ergebener Kaiser und König
Wilhelm.“
Um 11 Uhr Vormittags erschien er selbst, umgeben von den
Prinzen des königlichen Hauses, in der Wohnung des Kanzlers,
um ihm auch pexsönlich seine Glückwünsche zu überbringen. Der
Fürst führte den hohen Gast in das Empfangszimmer, wo das
Werner'sche Bild noch verhüllt stand. Da löste der Kaiser die
Hülle, und nochmals dankend reichte er dem Getreuen seine Rechte.
Und als sich Bismarck zum Handkusse niederbeugte, hob er ihn
empor und umarmte und küßte ihn unter Thränen.