238
Sweiunddreißigstes Kapitel.
Da lag er in dem schwarzen Schrein, in frisches Grün ge—
hüllt, ein Bild himmlischen Friedens, und die zwölf Kerzen,
welche auf hohen Leuchtern zwischen den Lorbeeren und Myrten
brannten, warfen einen Schimmer der Verklärung auf das edle
Angesicht.
Zu seinen Häupten stand der Augustinerprior Volbrecht und
der Propst von St. Sebald, die sprachen abwechselnd die Grab—
gebete, während zu den Füßen ein Chorknabe das Kruzifix em—
porhielt.
Danach stimmten die Meistersinger, Hans Sachs an der
Spitze, eine Weise an, ernst und feierlich; der Sarg ward ge—
schlossen, und in endloser Reihe bewegte sich unter dem Geläut
aller Glocken der Leichenzug nach dem Johanniskirchhof, wo sich
die Gruft der Familie Frey geöffnet hatte, um aufzunehmen,
was sterblich war an dem Unsterblichen. —
Von Schmerz und Gram gedrückt saß Frau Agnes in dem
öden Haus. Sie war zum Schatten geworden, sie hätte sich am
liebsten zu dem Gatten in die Gruft gelegt. Viel Liebe und
Teilnahme war ihr von allen Seiten geworden, und es kam
ihr ein Zeugnis nach dem andern, daß diè halbe Welt mit ihr
Leide trug.
Da trat eines Morgens Herr Eobanus Heß, der Mann,
welcher den großen Toten in einem herrlichen Lied gefeiert hatte,
ein Freund Luthers von Erfurt her, zu ihr ins Gemach.
Er langte aus der Tasche einen Brief und sprach: „Sehet
hier, vielwerte Frau, was Euch ein rechter Trost sein mag in
Eurem tiefen, schweren Leide. Vom Doktor Martinus Luther,
welchem ich das Leichengedicht gesendet, ist ein Antwortschreiben
an mich ergangen, darinnen stehen in Bezug auf Euren ent—
schlafenen Eheherrn die Worte: ‚Es ziemet wohl den Frommen,