Gemeinnützige Anstalten, Armenwesen und Wohltätigkeit 235
Zentralisation herrscht. Es wurde daher niemals einem Bäcker überlassen, sich das Mehl
selbst zu besorgen, wo er wollte, sondern es wurde jedes Gramm Mehl vom Augenblick der
Erzeugung bis zu dem Augenblick des Verbrauches streng kontrolliert. Die Bäcker konnten
Wünsche hinsichtlich der Mühle, woher das Mehl begehrt wurde, vorbringen; wenn es möglich
war, diesen Wünschen zu entsprechen, geschah dies. Jedenfalls aber durfte keine Mühle einem
Bäcker auch nur ein Gramm Mehl abgeben, wenn nicht der Kommunalverband die Mühle
hierzu vorher angewiesen hatte. Der Bäcker erhielt alle 14 Tage nach Prüfung der Brotmarken
seine Faktura. Nach Bezahlung derselben wurde eine Mühle angewiesen, dem Bäcker das
Mehl zuzuführen. Die Mühle mußte sich den Empfang des Mehles bestätigen lassen; gegen
Ablieferung der Empfangsbestätigung wurde der Mühle das Mehl als abgeliefert gutgeschrieben.
3. Die Brotmarken wurden nicht immer gleich bewertet. Für eine Brotmarke lautend
auf 50 gr Brot oder 1 Weißbrot wurden zugeteilt: vom 8. März 1915 bis 16. Mai 1915:
36 gr Mehl, vom 17. Mai 1915 bis 24. Janüar 1916: 40 gr Mehl, vom 25. Januar 1916
bis 4. Februar 1917: 38 gr Mehl. Die Verschiedenheit der Zahlen erklärt sich daraus, daß
die Möglichkeit, Ersatzmehle, Kartoffelmehl usw. zu gewähren, nicht immer gleich war. Auch
die Ausmahlungssätze und die dadurch bedingte Backfähigkeit des Mehles spielten hierbei
eine Rolle.
4. Solange das Getreide nur bis zu 80 6/0 ausgemahlen wurde, war es nicht
notwendig, ein besonderes Haushaltungsmehl herzustellen. Es wurde den Kolonial—
warenhändlern nach Maßgabe der eingelieferten Mehlmarken das 809, ige Weizenmehl
zugewiesen. Der Rabattsparverein übernahm es hierbei in dankenswerter Weise, an sämtliche
Kolonialwarenhändler ohne Rücksicht darauf, ob sie Mitglied von ihm waren oder nicht,
das Mehl gegen eine geringe Entschädigung zu verteilen. Es wurden an die Kolonial—
warenhändler zugewiesen vom 12. Juli 1915 — 15. August 1916: 29 654 Ztr. Weizenmehl.
5. Gastwirte konnten aus ihrem Betrieb zunächst keine Brotmarken abliefern.
Sie benötigten für die Zubereitung von Suppen, Gemüsen usw. Mehl, für welches die Gäste
keine Marken abliefern. Es mußte daher den Gastwirten immer etwas Mehl zugewiesen
werden. So wurde die Bestimmung getroffen, daß allmonatlich die Wirte ihren
Bedarfszettel bei ihrer Organisation einzureichen haben; dieser Bedarfszettel wurde auf seine
Richtigkeit hin geprüft und dann vom Amt angewiesen. Soweit Maismehl, Maisgrieß
oder ausländisches Mehl zur Verfügung stand, wurde solches zugewiesen. Durchschnittlich
erreichten die Zuweisungen eine Höhe von 300 Ztr. im Monat. Da jede markenfreie Ver—
sorgung der Gastwirte eine im strengsten Sinne des Wortes unzulässige Doppelversorgung
bedeutet, mußte diese Doppelversorgung auf ein Minimum herabgesetzt werden. Diesem Zweck
diente die Vorschrift, die im Juli 1916 erlassen wurde und vorschreibt, daß Gastwirte, Hotel⸗
besitzer, Inhaber von Speiseanstalten und ähnlichen Betrieben Speisen, zu deren Herstellung
Mehl und Brot verwendet wird (sogenannte Mehlspeisen), nur gegen Mehlmarken abgeben
dürfen. Die Wirte sollten dadurch in die Lage versetzt werden, sich gegen Ablieferung dieser
Brotmarken wieder Brot oder Mehl zu verschaffen.
Leider wurde das den Gastwirten gezeigte Entgegenkommen von manchen Wirten
mißbraucht. Es mußte daher im August 1916 eine neue Aufnahme der in den einzelnen
Wirtschaften verkehrenden Gäste gemacht werden, und an Hand dieser Feststellungen wurde
ieder Wirtschaft ein bestimmtes Kontingent festgesetzt.
6. Besondere Schwierigkeiten bot die Versorgung der Konditoren und
Lebküchner. Auf der einen Seite handelte es sich um die Erhaltung einer Reihe
von kleinen und mittleren Betrieben mit zahlreicher Arbeiterschaft, auf der anderen
Seite um die Herstellung von Luxusgebäck, welches aber immer sehr stark begehrt
wurde, da es mackenfrei zu haben war. Es wurden daher an die Konditoreien und