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So oft er Nürnberg anläßlich seiner häufigen Reisen berührt.
unterliegt er dem Zauber der altehrwürdigen Stadt.
„Alfred erwartet mich bis 9 Uhr im „Gläsernen Himmel“.
— Ich denke aber, daß er im gewohnten Freundeskreise meine
Abwesenheit nicht allzusehr verspüren wird, wenn ich unter den
obwaltenden Umständen meinem Versprechen nicht nachkomme.“
— sagt Dr. K. indem er sich im Schaukelstuhle niederläßt. —
Er hat nach dem Mädchen im Nebenzimmer gesehen. Sie
schläft wieder, nachdem sie sich zuvor unruhig auf ihrem Lager
bewegt hat.
„Es können noch Fiebererscheinungen hinzu treten, Sie
wissen ja, daß ich kein ungeschickter Arzt bin, so denke ich, meine
Anwesenheit könnte Ihnen nützen.“ — — „Sehr liebenswürdig!“
— erwidert Frau B. und fühlt sich beim Gedanken an dieses
Mannes Beihilfe, anläßlich ihrer seltsamen Mission, wohlig
geborgen. Ihres Gatten Heimkehr kann sich, nach seinen Ge—
wohnheiten zu schließen, bis in die frühe Morgenstunde verzögern.
Es gibt im Menschenleben weihevolle Stunden, deren
Begründung sich nicht in Worte fassen läßt, und doch bleibt
ihr Andenken für alle Zeiten dem Gedächtnis lebendig.
Auch die beiden Menschen sind dem Fauber einer solchen
Stunde verfallen. Milde weht die Nachtluft von der Galerie
in's Gemach, sie trägt den Duft der Hollunderstauden und
blühenden Kastanienbäume herein und in langgezogenen Tönen das
süße, sehnende Flöten einer gefangenen Nachtigall. —
An des Hauses Grundmauern klatschen die brausenden
Wogen des aufgeregten Flusses; die Glocken von St. Lorenz,
St. Sebald und den anderen Kirchen lassen ihr harmonisches
„Neunuhrläuten“ über die Dächer der Stadt hintönen. Leise
wimmert der letzte — — allerletzte Schlag durch die Luft. —
„Wie kommen Sie eigentlich zu Ihren gründlichen Kennt—
nissen der Arzneikunde?“ — fragt Frau B. leise, nachdem ihr
Blick lange den schönen Mann betrachtet hat, dessen Umrisse sich
deutlich vom Dunkel der Altane abheben.