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körpert vom ersten Künstler der Zeit durch eine Fülle wohl dis-
ponierter und kunstvoll aufgebauter menschenreicher Gruppen unter
einer gemalten Prunkhalle, deren Architektur schier übermächtig
den Beschauer ergreift, ergänzt durch die Verherrlichung der Juris-
prudenz und Poesie, — auf dem deutschen Kupferstich eine einsame
Frau an schlichtem Gemäuer, umgeben von einem Gewirr prosaischer
Geräte, die dasselbe sagen, wie dort die menschenreichen Gruppen,
nur alles viel einfacher. Und das göttliche Wissen bei Raffael
verherrlicht durch alle bedeutenden Lehrer der. Kirche auf Erden
und durch die Schaar der himmlischen Weisen, die droben auf
der Wolkenbank um die Dreieinigkeit thronen, — bei dem Deut-
schen durch einen stillen weltabgeschiedenen ‘Gelehrten, der in
des Künstlers eigenem traulichen Gemach eifrig an der Bibel-
übersetzung arbeitet, ein entzückendes Stilllebenbild, wo statt der
himmlischen Heerschaaren und Helden uns ein Kürbis an der
Decke, Holzpantoffeln unter der Bank, Leuchter und Bürste,
Sanduhr und Haushund begrüssen.
Vielleicht ist an Dürers Stichen mit das Bewunderungswürdige
die grossartige Vereinfachung des gleichen Stoffes, den die Stanza
della Segnatura an vier mächtigen Wänden mit einer Fülle von
Gestalten wiedergibt und den die vorausgehende Kunst, — man
denke nur an die Fresken in Padua, Florenz und Brandenburg —,
noch obendrein durch eine Fülle langatmiger Erläuterungen,
Spruchbänder und Beischriften verständlich machen musste. Es
ist derselbe grandiose Vereinfachungsprozess, den wir schon an
seinem christlichen Ritter bewunderten.
Und so schliessen sich die drei herrlichen Blätter der Jahre
1513 und 1514, Ritter Tod und Teufel, Melancholie und Hiero-
nymus im Gehäus, nun doch wieder: zu einer Einheit zusammen
durch die Macht der geschlossenen Persönlichkeit ihres Meisters.
Nicht nur Zeugnisse eines gleichartigen künstlerischen und gedank-
lichen Werdeganges sind sie, sonderlich innerlich verwandte Ge-
schwister, gestaltet aus der Tiefe der deutschen Volksseele, aus dem
gleichen religiösen Verlangen einer weltgeschichtlich ‚grossen Zeit
heraus; belebt durch die persönliche Welt- und Lebensanschauung
eines ‚ihrer grössten und besten Söhne, — Albrecht Dürers.