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tastischen Gestalten zum größten Theile aus, nur in der höchsten Höhe
über ihnen schwebt der Engel Gottes, der ihnen die Bahnen anweist, die
sie nehmen sollen. Zuhinterst in der Ferne sieht man den geheimnißvollen
Reiter mit gespanntem Bogen, auf welchem der gefiederte Pestpfeil bereit
liegt, die Welt mit tödtlichem Gifte zu erfüllen. Neben ihm sprengt mit
hochgeschwungenem Schwerte der blutige Krieg, der die Menschen im
Brudermorde vertilgt; in der Mitte mit der leeren Waage, die im Sturme
hinter ihm nachschleift, der Reiter der Theuerung und Hungersnoth, wie
zum Spotte im reichsten Ritterkleide, mit gezackten Fransen am verbrämten
Wamms und klingenden Schellen am goldenen Gürtel! Ganz vorn aber,
zunächst der seufzenden Erde und ihren Staubgeborenen, reitet der Würger
Tod, auf dürrer Mähre, mit geschwungenem Dreizack, den er wie eine
Sense handhabt, und vor ihm sinken Mann und Weib dahin, wie die
reifen Aehren vor der Sichel des Schnitters. Unter ihm zu seinen Füßen
brennt der geöffnete Höllenrachen und verschlingt soeben ein kaiserlich ge—
kröntes Haupt. Wolken und Finsterniß füllen die Scene. Es ist etwas
unbeschreiblich Erhabenes und unwiderstehlich Furchtbares in der grausen
Einsamkeit der wenigen Gestalten, die den Raum doch so vollkommen er—
füllen. Für uns aber ist dies Blatt noch von einem ganz besonderen
Interesse, wenn wir uns erinnern, daß der größte Meister der Neuzeit,
Peter Cornelius, denselben Stoff in riesigen Dimensionen als Carton für
die Bilder des Campo Santo in Berlin behandelt und zu allgemeiner
Geltung und Bewunderung gebracht hat. Es wäre mehr als thöricht,
wollte man es als einen Mangel betrachten, daß der geniale Künstler am
Dürer sich begeistert, daß er, offenbar von des alten Meisters Werk in—
spirirt, seine eigene Neuschöpfung begonnen. Es ist nur ein Beweis
mehr, daß die urdeutsche Richtung Dürer's immer wieder auf das deutsche
Gemüth dieselbe Gewalt zu allen Zeiten ausübt. Und wenn Cornelius der
Auffassung des alten Meisters den Zauber idealischer Formengebung hin—
zufügt, wie wir es gewohnt sind seit der Zeit der Renaissance und wie es
uns eben seitdem verständlicher geworden, und wenn er ihm hierin vielleicht
überlegen scheint, in der Originalität des Gedankens, in Kraft und eigen—
thümlichem Ernst des Ausdrucks konnte er ihn nicht übertreffen, vielleicht
kaum erreichen. Wäre es Dürer vergönnt gewesen, in solchen Dimen—
sionen zu arbeiten, wie sie Cornelius für seine gewaltigen Wandmalereien
wählen durfte — welche Erhöhung seines eigensten Wesens, welche un—