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sind die Wandgemälde in der Bibliothek des Prämon-
stratenserstiftes zu Brandenburg,! die ein nach den
verschiedensten Seiten hin unschätzbares kulturgeschichtliches
Denkmal des ausgehenden deutschen Mittelalters sein würden,
wenn das neidische Schicksal sie uns gegönnt hätte. Die genre-
hafte Ausgestaltung der einzelnen Scenen macht es wahrscheinlich,
dass diese Malereien nicht vor der Mitte des 15. Jahrhunderts ent-
standen sind.
Wieder sah man auf der einen Seite die Theologie als
thronende Königin mit Scepter und dreifacher Tiara, umgeben
von Kirchenlehrern und den 4 grossen Kirchenvätern, unter ihr
den Brunnen des Lebens (wie auf dem Genter Altar), ihr gegen-
über die Philosophie, ebenfalls mit Scepter, aber vor einem Pulte
mit aufgeschlagenem Buche sitzend, umgeben von den sieben
freien Künsten und ihren Vertretern, auf der dritten Wand aber
als Anführerin der mechanischen Künste die Medizin und unter
ihr die Weberei, Armatura, Schiffahrt, Jagd, Landbau, T heatrica,
auf der vierten Wand die Jurisprudenz. Zahlreiche Genrescenen
erläuterten sodann die Thätigkeitsgebiete aller dieser Künste.
Einen ganz leidlichen Ersatz für die verlorenen Wandbilder
in der Brandenburger Klosterbibliothek bieten uns die zierlichen
bunt ausgemalten Holzschnittillustrationen eines recht volkstüm-
lichen Buches jener Zeit, des „Spiegels des menschlichen Lebens“
von Rodericus von Zamora. Die Steinhöwel’sche Verdeutschung
in der Augsburger Ausgabe von 1479 zeigt als Titelbild zu der
Erläuterung der sieben freien Künste eine Gruppe von 7 ge-
lehrten Männern mit den üblichen Attributen der Künste. Jede
Kunst wird dann weiterhin am Beginn des ihr gewidmeten Kapitels
noch einmal besonders durch ein Genrebild vor Augen geführt:
Die Grammatik durch einen Lehrer vor der Schulklasse, die
Musik durch einen Vorsänger mit Chorknaben, die Astronomie
durch einen Lehrer, der Jünglinge im Gebrauch der Messinstru-
mente unterweist etc.
Ebenso geht der Beschreibung der sieben mechanischen Künste
1 Unvollständig abgedr. von Alwin Schultz, Jahrb. d. k. pr.
Kunstsamml,. Bd, I, 35, neuerdings vollständig von Schlosser als Anhang
zu dem vielgenannten Aufsatz im allerh, Jahrb. XVIT