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Harsdörfer felber war Fein Myftiker. Dazır gebrach e8 ihm
an ruhiger Bejchaulichteit, Vielgefdhäftigkeit und Weltverftand
mwalteten vor. Wer fein lKiebedürftiges Herz fühlte fich wohlthätig
erwärmt von diefem verborgenen Lichte, fein praktijcher Verftand
erfannte die hohe Bedeutung der Myftit für Keligion und
Sittlichfeit. Muyftijchen Ankflängen, fremden und eigenen, find
wir {hon mannigfacdh) bei Harsdürfer begegnet. Im engeren
Sinne fönnen vier Schriften hieher bezogen werden. Drei davon
enthalten Überfeßungen, die vierte und leßte bringt ung Hars-
dSrfers Dichtungen zu Dilherrs Betrachtungen über daz Hohe Lied.
„Ein hundert Sprüche gezogen aus den Schriften der Hifpanifchen
Nonne CTherefa“ Iautet der Titel der Zugabe zu Mathan IT. In
einem Vorbericdhte meint Harsdürfer: „Was den guten Wandel,
und ein reines Gewifjen anlanget, follen alle Chriften einer Religion
feyn, geftalt ohne folchen Fein Gottgefälliger Glaube beftehen fan.“
Dieje Herzensunion, die Über alles begrifflihe Wortgezänke
erhaben ift, wird ftet3 daS ungeftillte Verlangen des Diesfeitz
oleiben müffen. Auf fie hinzuweifen, fie al3 thatläcdhlidh vorhanden
zu verfünden, heißt Ol in die Wunden der Aweifelfucht und der
3wietracht der Zeiten gießen.
Die Heilige Thereja, + 1582, gehört mit ihren Beitgenoffen
Sohann vom Kreuze, Luis de Leon und Betru8 von Alfantara
zu den fjeltenen MenijchHen, die neben aller Gebundenheit an die
Zeitvorftellungen tiefer Einblide inz Ewige gewürdigt wurden.
Berninis Meifterhand hat fie in Rom verherrlicht, wie ihr der
Seraph, ein geiftlicdher Amor, einen Pfeil ins Herz drückt 21
Die von Harsdürfer zuJammengeftellten Sprüche geben Zeugnis
on einer innig-gläubigen, aber myftilcdh von der Welt abgefehrten
Srömmigfeit. Mande Worte darunter enthalten vortreffliche
geiftliche LebenSregeln:
15. Der größte Troft ift, andre mit Worten oder guten Erempeln
frömmer machen.
16, Die Demut ift eine Jmme, die von allen Blumen (von
allen Begebenheiten) Honig macht.