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II. Die Festtage 44
„Gedichte: „Hans Sachsens poetische Sendung“ ein würdiges
Denkmal gesetzt und ihn gepriesen als einen Meister, der die
Welt mit den Augen Albrecht Dürers ansah und jedes Ding
bei seinem rechten Namen nannte:
Nichts verlindert und nichts verwitzelt,
Nichts verzierlicht und nichts verkritzelt.
Noch lange sollte es währen, bis man seinen Namen
anders als mit spöttischer Miene nannte; glaubte man doch
Grund genug zu haben, ihm jede höhere dichterische Begabung
abzusprechen und zu behaupten, daß er handwerksmäßig wie
seine Schuhe auch seine Verse gemacht habe. Und noch heute ist
die Zahl derer keine kleine, die es nicht glauben wollen, daß
er ein echter und rechter Dichter war.
„Hans Sachs war ein Schuh—
Macher und Poet dazu.“
Das ist ungefähr alles, was sie von ihm wissen. Man
findet es höchst merkwürdig und interessant, daß ein biederer
Nürnberger Schuhmacher sich im Meistergesang hervorgethan
habe, und vernimmt mit staunender Miene, daß er über 6000
Dichtwerke hinterlassen hat, aber man gibt sich nicht die Mühe,
diese zur Hand zu nehmen und sich in sie zu vertiefen, wie es
Goethe gethan hat. — Freilich, wer die Vergangenheit mit
dem Maße der eigenen Zeit mißt, der kann nicht zu einer
gerechten Würdigung derselben kommen, ebensowenig wie der der
eigenen Zeit gerecht wird, der das Vergangene immer für das
Bessere hält. Wir haben es jetzt gelernt, jede große Persön—
lichkeit aus ihrer Zeit heraus zu erklären, und da tritt uns
Hans Sachs aus der seinen als eine der freundlichsten Er—
scheinungen entgegen.
Weil er den Besten seiner Zeit genug gethan, darum
mußte sein Name wieder aus der Vergessenheit auftauchen, in
die deutscher Art und Sitte entfremdete Geschlechter ihn versenkt
hatten. Es ward offenbar, daß dieser Mann im Schurzfell
und mit der Ahle in der Hand von den Musen die Dichter-“