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In Nürnberg.
Der Stallmeister sagte: Mancher gehe zwei Monate lang bei ihm
zur Lehre und sitze nicht so auf dem Pferde. Er hatte sich, ehe
er noch auf das Pferd gesetzt wurde, vom Zuschauen Alles
abgemerkt und wußte es besser, als diejenigen, welche der Stall—
neister soeben vorgehabt hatte.“
Mit anderen Worten: Kaspar Hauser ist damals nicht zum
erstenmal zu Pferde gestiegen!)
„Als zu Anfang Oktober der Stallmeister auf der Reitbahn
ein tückisches und eigenwilliges Pferd getummelt hatte, verlangte er,
es zu reiten, da ihn der Anblick mehr gereizt als geschreckt hatte.“
Mit anderen Worten: die bekannten Feigheitsanekdötchen der
Kaspargeschichte sind simuliert worden.
Zu Anfang des Monats September 1828 berichtete Daumer
an die Königliche Regierung: „vortrefflich bekommt ihm das Reiten,
in welchem ihn Herr Stallmeister von Rumpler in meinem Beisein
unterrichtet. Schon den 11. September ritt er zum erstenmal
spazieren. „Er konnte hierbei weit mehr aushalten, als ich“, schrieb
Daumer; „er ritt stundenlang ohne unangenehme Empfindung, nach—
dem er sich etwa ander(t)halb Monate lang auf der Reitbahn geübt.
Ich konnte mir das (philosophisch?) nicht anders als dadurch erklären,
daß er durch das beständige Sitzen und Rutschen (vgl. S. 222 Nr. 2)
in seinem Käfig das Hintertheil auf eine ungewöhnliche Weise ab—
gehärtet (1) habe. Alle Einwirkungen von außen waren ihm an
diesem Theile (man bewundere doch diesen Wundersteiß!) weniger
zmpfindlich, als an seinem übrigen Körper.“
Der genannte Stallmeister war ein gläubiger Mann. Er lehrte
Kaspar aus persönlicher Teilnahme unentgeltlich das Reiten, er ritt
1) Johann Hacker, der Kutscher des Rittmeisters von Wessenig, hat eidlich
ausgesagt: „K. H. hat, wie er gleich nach Nürnberg und da in das Haus des
Hrn. Rittmeisters v. W. gekommen ist, woselbst ich als Kutschergehilfe diente,
eine unendlich große Freude mit den Pferden gehabt; er ist sehr
ungerne von ihnen weggegangen und hat sie in einem fort ge⸗
streichelt.“ Josef Blaimer, der ihn vom 27. Mai an täglich ausführte und
begleitete, bezeugte Kaspars namenlose Freude, wenn er ihm den Schimmel
des Bürgermeisters Binder zeigte. Natürlicher als die Geschichte auf S. 283!