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Wittenberger, jedoch nicht ohne daß sie den wissenschaftlichen
und ethischen Bestrebungen der Humanisten volle Gerechtig⸗
keit widerfahren ließen, da sie dieselben eben an ihrem
eigenen sittlich⸗religiösen Empfinden maßen!
Neben dem akademischen Lehramte berief seine her—
vorragend homiletische Begabung, für die wir die allsei—
tigsten Zeugnisse im Laufe seiner Wirksamkeit an den ver⸗
schiedenen Orten kennen lernen werden, Wenzel schon früh
zum Predigtdienste. Die Predigtkunst war in jener Zeit
eine gar seltene, und wenn man nur — ganz abgesehen
von unsern evangelischen Verhältnissen — die Stellung der
Predigt in der heutigen römischen Kirche vergleichsweise
her anziehen kann, so mag es wie ein Panegyrikus auf den
darzustellenden Helden kkingen, wenn ich ihm ob dieser ho—
miletischen Fähigkeit eine besondere kirchengeschichtliche Be⸗
deutung beilege. Wir werden im Verlaufe seines CLebens⸗
bil des erfahren, inwieweit er unter andern in dieser Hinsicht
hervorragte. Jetzt aber bedarf das richtige Verständnis
dieses Punktes überhaupt einer kurzen Entwicklung der
Predigtverhältnisse jener Zeit. Die von Orden und Welt—
geistlichkeit geübte cura animarum hatte die Predigt des
Wortes aus ihrem Programm gestrichen; selbst die Domi—
nikaner pflegten sie nicht und nur vereinzelt steht ein Buß
prediger der Minoriten da. Anders bei den Augustinern.
Aber weil wir sehen, wie geschätzt ob seiner Seltenheit auch
da ein Prediger war, so gehen wir wohl nicht fehl, wenn
wir diese selbst nach Proles doch immerhin nur von einem
winzigen Bruchteil der Brüder gepflegte Seite der ange⸗
wandten Theologie wesentlich auf den Einfluß eines Proles
und nachher Staupitz zurückführen, die eben — und
letzterer durch ersteren — durch Erfahrung und Schrift—
)p
Hi