Full text: Kaspar Hauser

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einem engen, niedrigen Gemache befunden, welches höchstens 
durch Dämmerung erhellt wurde, meist in sitzender Stellung, 
ohne Menschen und sonstige Geschöpfe zu sehen, einzig auf 
das Spielen mit hölzernen Pferden angewiesen, von unsicht— 
barer Hand verpflegt und gereinigt. Wasser und Brot 
waren seine ausschließliche Kost gewesen. Abgesehen von 
einem Traumbilde, das er später erzählte, hatte er keine 
Rückerinnerungen an die Zeit vor seiner Einsperrung, muß 
mithin schon in sehr frühen Jahren dort untergebracht 
worden sein. Da er 1828 den Eindruck eines 16 -17 jähri⸗ 
gen Burschen machte, muß seine Einsperrung ein Dutzend 
Jahre oder länger gedauert haben. Die Zeit aber, in 
welcher schließlich sein Wärter sich ihm zeigte und ihn im 
Gehen, Sprechen und Schreiben unterrichtete, ist nach seinen 
Angaben sehr kurz gewesen. 
Was müßte die Folge einer solchen Behandlung gewesen 
sein? Ein Knabe, der schon seit zarter Kindheit derartig von 
allem Verkehr abgeschlossen und des natürlichen Gebrauches 
seiner Sinne und seiner Gliedmaßen beraubt worden ist, 
muß notwendig bis zu gewissem Grade körperlich und geistig 
verkümmern. Wer diese ganze Zeit über nicht gehen und 
stehen gelernt hat, sondern aufs Liegen, Sitzen und Rutschen 
angewiesen gewesen ist, lernt, in Freiheit gesetzt, erst in sehr 
langer Zeit gehen, zieht die liegende oder sitzende Haltung 
jeder anderen, das Rutschen dem Gehen vor und gewöhnt 
sich nur ungern und mit Widerstreben daran, den Körper 
aufrecht zu tragen. Hat er in der Haft nur Finsternis oder 
höchstens Dämmerlicht gekannt, so wird er zeitlebens gegen— 
über dem Sonnenlicht blöde bleiben. Geistig aber muß er, 
wenn nicht völlig in Stumpfsinn verfallen, so doch derartig 
gehemmt werden, daß er erst nach jahrelangem Unterricht 
denken und sprechen lernen kann. Und daß er in der kurzen 
Zeit zwischen der Einsperrung und der Aussetzung auch nur
	        
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