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v. Wolzogen „ihn vor langem Hinsterben zu bewahren, er wurde
erhört. Am Tage vor seinem Scheiden wurde ihm „immer besser,
immer heiterer“, er verlangte, man solle den Vorhang des Fensters
öffnen, er wolle die Sonne noch einmal sehen; mit heiterem Blick
schaute er in den schönen Abendstrahl und die Natur empfing seinen
Scheidegruß; am neunten früh trat Besinnungslosigkeit ein, die in
vollkommene Schwäche überging; der Athem fing an zu stocken;
noch einmal fühlte seine am Bette kniende Frau den Druck seiner
Hand — es fuhr ein elektrischer Schlag über seine Züge, dann
sank sein Haupt zurück und die vollkommenste Ruhe verklärte sein
Antlitz; seine Züge waren die eines sanft Schlafenden . .. In
der Nacht vom 11. zum 12. Mai wurde Schiller begraben — und
wunderbar! — wie von den Halbgöttern der Alten die Sage geht,
daß sie auf einen Berg oder in eine Höhle oder in einen Tempel
traten und verschwanden: so fand man auch Schillers Gebeine
nicht mehr, als man sie später vom Jakobsfriedhof in die Fürsten—
gruft übertragen wollte; — nur dem tiefen, wehyvollen Studium
des Freundes Göthe gelang es, die wahrscheinlichen Reste zusam—
men zu finden ...
Wären wir kindisch genug, im Sinne der Alten mit Halb—
götterei zu spielen, welch' ein Anlaß wäre hier gegeben, unsern
Dichter auch zum höheren Wesen, zum Halbgott zu machen; aber
wir sind weder so frivol, noch so befangen, um Schiller zu etwas
Anderem zu machen aͤls was er war: zu einem vortrefflichen Men—
schen! Daß er ganz und durchaus nur Mensch war, daß er seine
Schwächen hatte und manchem Irrthume verfiel, daß er seine irdi⸗
schen Leiden menschlich fühlte rund im Schweiße seines Angesichtes
sein Brod und seine Ausbildung erwarb — das gerade ist es,
was den Dichter uns so nahe führt! An ihm sehen wir wieder,
wie hoch der ewige Gott vom Menschengeschlechte denkt, daß er es
würdigt, dann und wann solche Männer zu den seinigen zu zählen;