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liche Rucksicht, die dem Historiker ziemt und den Poeten be—
engt, malt er- ein veredeltes Bild fremder Zustände, aus wel—
chem die Blutsverwandtschaft mit den eigenen uns entgegen—
springt und unsere Freuden, Leiden, Hoffnungen, Neigungen
und Wünsche in verklärender Beleuchtung sich wiederspiegeln.
Gebricht ihnen bei solcher Behandlung der Charakter des Nai—
ven, so erntet dagegen den entschiedensten Beifall, was er selbst
das Senkimentale nennt. Die Nation im Großen findet das
erstere kalt, weil sie selbst über die naive Kulturstufe hinausge—
schritten und für deren künstlerische Auffassung schwerlich je
reif ist. Man preist — und das eine Beispiel genüge — Schil⸗
lern als den Dichter der Frauen, und mit Recht, nicht allein,
weil er in ihrem Sinne gesungen, sondern auch namentlich weil
er ihr Geschlecht auf Goldwolken emporgehoben hat. Und den—
noch hat er kein Gretchen geschaffen und kein Clärchen. Aber
er hat der Anmuth, Würde und Liebe der Frauen unvergäng—
liche Sprüche gewidmet und den heroischen Aufschwung für das
Edle und Rechte, dessen das schwache Geschlecht fähig ist, in
Scenen verherrlicht, die uns bezaubern, weil wir durchdrungen
sind von der Ueberzeugung, daß wirklich die Frauen himmlische
Rosen in's irdische Leben flechten. Raube dem deutschen Manne
den Glauben an die göttliche Natur des Weibes, und du hast
ihm seine Seele zerrissen.
Verehrte Versammlung! das deutsche Volk empfindet und
weiß, warum es seinem Schiller ein Fest feiert, wie keinem sei—
ner Dichter. Denn an die Thatsache, daß er allezeit groß und
volksthümlich gedacht, gefühlt, gestrebt und geschrieben, reiht
sich noch die andere für uns nicht minder wichtige an, daß er
eben so gelebt und gehandelt hat. Mit Abscheu verwerfen
wir die Maxime genialer Leichtfertigkeit, die den Mann trennt
von seinem Werke, und treten unsern Schriftstellern mit dem
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