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derung zu. Trotzdem bleiben die beiden Stiche sein persönliches
Eigentum. Stoff und Anstoss empfing er von aussen, die Form
schuf er selbständig.
Wir besitzen vom Hicronymus im Gehäus und von der Melan-
cholie leider keine vorbereitenden Entwürfe, wie sie für den christ-
lichen Ritter nachgewiesen wurden. Die eingehende Betrachtung
der beiden Blätter lehrt uns aber die Thatsache kennen, dass hier
sleichfalls technische Probleme, Formstudien in hervorragender
Weise die Phantasie bestimmten. Wie Dürer im christlichen Ritter
von einer Normalfigur den Ausgangspunkt nahm, so bestimmt und
bedingt in Hieronymus und in der Melancholie die perspektivische
Wissenschaft und die Lichtberechnung den künstlerischen Eindruck.
Den h. Hieronymus hat Dürer öfter dargestellt, nicht bloss büssend
und betend, sondern auch schreibend. Doch nur der Hieronymus
im Gehäus übt dank der gewählten Beleuchtung, der wohl erwogenen
Anordnung der Szene eine poetische Wirkung. In dem Sonnen-
lichte, welches den ganzen Raum erfüllt, den Kopf des Heiligen
verklärt, allen Hausrat, die Wände und die Decke in milden Schimmer
hüllt, spiegelt sich die Seelenruhe und der ungetrübte Friede des
frommen Schreibers ab. Erst durch diese Mittel kommt Stimmung
in das Bild; erst durch die Stimmung aber wird in der Scele des
Betrachters die richtige Empfindung geweckt. Wie sehr Dürer von
der Wichtigkeit der Beleuchtung durchdrungen war, zeigt die von
Ihm angewandte Stichtechnik. Ein feiner, silbergrauer Ton über-
zicht das ganze Blatt, schroffe Gegensätze von Licht und Schatten
werden vermieden, innerhalb enger Grenzen aber eine Fülle zarter
Übergänge ausgegossen. Der Stich des Hieronymus besitzt durch-
aus ein malerisches Gepräge und macht auch aus diesem Grunde
wie in Dürers Entwickelung, so auch in der Geschichte des Kupfer-
stiches Epoche.
Harmonische sonnige Beleuchtung bildet im Hieronymus die
Brücke, um die gesuchte Seelenstimmung zu erreichen. Damit war
auch schon der Weg zur’ künstlerischen Verkörperung des Gegen-
bildes, der Melancholie, gegeben. Dürer besass nicht die leichte
satirische Ader des Erasmus. Es lag ihm daher fern, das auf-
todernde Feuer des Wissensdranges zu verspotten, die Leidenschaft
des Forschens als Eitelkeit zu verlachen, Ihm war cs mit der Lr-
kenntnis der Wahrheit, der Erweiterung der Kenntnisse’ heiliger
Ernst. Er verwandelt daher den Weisheitsnarren in einen Genius,
welcher emnorfliesen möchte bis an die Grenzen der fassbaren