—
Höher trägt der Germane wieder das Haupt und schlägt das
Aug' auf vor dem Fremdlinge, das sich schamvoll senkte ob
unserer Zwietracht; ein starkes Brudergefühl erwärmt die, Ge—
theilten von der Ostsee bis hinab, wo weit die Donau durch
die Puste zieht; jeder Stamm, jede Stadt, jede Corporation
beeifert sich zum gemeinsamen Feste den möglichen Tribut zu
bringen.
Wir begingen wol vor dreizehn Jahren mit würdig
ernster Haltung ein heiliges Volksfest, dem größten deutschen
Sohne geweiht, der zuerst den Zwang starrer Satzung gelöst
hat; aber es war ein Todestag, kein Geburtstag; auch ließ
sich das trübe Bewußtsein nicht bergen, daß die von Luther
angebotene Geistesfreiheit nachher mit Blut und Bruderhaß
zu bezahlen war. Und wiederum nach drei Jahren als der
hundertjährige Geburtstag des großen Dichters erschien, da
vernahm man aus bedeuteuden Städten die Kunde, daß Vereine
und Schaubühnen sein Andenken geheiligt hätten, und auch zu
uns eilte die Schar seiner Verehrer, also daß dieser Saal
die Menge nicht faßte; aber gleichwol, hätten wir die Göthe—
feier unterlassen, der Säculartag des Unsterblichen wäre in
Nürnberg spurlos vorüber-gegangen. Göthes Ehrentag hat
sich keineswegs zum Nationalfest gestaltet, weder bei uns noch
irgendwo in Deutschland; arm und kalt ging er vorüber, wenn
gleich von der Augustsonne beschienen. Und doch stand uns
Göthe der Zeit nach näher; die Mehrzahl gedachte noch der
Jahre, in denen der Olympier in heiterer' Ruhe auf dem deut—
schen Parnasse thronte. Und doch hat uns Göthe Kraft und
Arbeit über ein Menschenalter laͤnger geweiht. Wer möchte
ferner noch heute mit dem veralteten Satz an's Licht treten, er
habe minder als sein fruͤhverstorbener Freund fürs Volk ein
Herz gehabt?