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überwiesen, das Vermächtnis zur Gründung eines Fonds für Gewährung von Darlehen
an Bedürftige gegen entsprechende Sicherung und niedrige Verzinsung zu verwenden und
hierüber Ausführungsbestimmungen zu erlassen.
Der Armenpflegschaftsrat hat in der Sitzung vom 15. April 1914 die Angelegenheit
dem Stiftungsausschuß übergeben, dessen derzeitiger Vorsitzender, Hauptlehrer Wilhelm
Gebhardt, im Einvernehmen mit Oberbürgermeister Dr. Geßler und Rechtsrat Fleischmann
nach Prüfung durch den Stiftungsausschuß und nach einer eingehenden Besprechung durch
die Bezirksarmenräte in der Vorbesprechung vom 27. April 1914 dem gesamten Armen—
pflegschaftsrat nachstehende Vorschläge unterbreitete.
Die langjährige Erfahrung hat gelehrt, daß die Armenpflege und ganz besonders
einzelne Armenräte öfters um kleinere Darlehen angegangen werden, durch die sich die in
ihren Vermögensverhältnissen unschuldigerweise zurückgekommenen Bittsteller aus ihrer augen—
blicklichen Geldverlegenheit befreien und wieder festen Fuß fassen könnten. Bisher mußten
solche Gesuche fast durchweg abgelehnt werden, da die Armenpflege kein Geldverleihungs—
institut ist und aus den Umlagen der Bürgerschaft derartige Unterstützungen nicht geben kann.
Oberbürgermeister Dr. Geßler hielt es deshalb für angezeigt, entsprechend der in
Regensburg existierenden von Müllerschen Stiftung von 10000 Gulden, auch das
Ehemannsche Vermächtnis zu einer Hilfs- und Darlehenskasse für gewerbetreibende
Bürger und Arbeiter, die unschuldigerweise in ihren Erwerbsverhältnissen zurückgekommen
sind, auszugestalten.
Zur Durchführung dieses Vorschlages wurde folgendes beantragt.
lJ. Aus dem 8800 betragenden Kapital wird eine Hilfs- und Darlehenskasse ge—
gegründet, aus der nur solche in Nürnberg beheimatete und daselbst wohnende Gewerbe—
treibende, Arbeiter und Witwen (z. B. zur Gründung eines Milchgeschäfts, eines Gemüse—
oder Hausierhandels, zur Übernahme einer Filiale usw.) Darlehen erhalten, die
l. einen unbescholtenen Leumund besitzen,
2. deren Hilfsbedürftigkeit nicht im eigenen Verschulden ihren Grund hat und die
3. noch in solchen Jahren und Kräften stehen, daß bei der erforderlichen Tätig—
keit die Möglichkeit der Wiedererstattung vorausgesehen und angenommen
werden kann.
II. Das Kapital von 8800 wird hinsichtlich seiner Verwendung zu dem oben—
bezeichneten Zweck in 3 für sich bestehende Klassen geteilt.
A. Für die erste Klasse werden 1000 A für durch 10 teilbare Darlehen und zwar
in Beträgen von 10 bis 50 M bestimmt. Die Empfänger von Darlehen aus dieser Klasse
haben das Geld zu 2040 zu verzinsen, innerhalb Jahresfrist zurückzubezahlen und einen Bürgen
zu stellen.
B. Für die zweite Klasse werden 3000 MA bestimmt und zwar für Darlehen von 50
bis 200 M, die zu 31/200 zu verzinsen und innerhalb 2 Jahren in Teilzahlungen zurück—
zugeben sind. Selbstverständlich ist auch in dieser Klasse ein zahlungsfähiger Bürge zu stellen.
C. Für die dritte Klasse werden 4000 für Darlehen von 200 bis 500 bereit-—
gestellt; dieselben sind zu 400 zu verzinsen und innerhalb 3 Jahren in Teilzahlungen zurück—
zuerstatten. In dieser Klasse sind 2 zahlungsfähige Bürgen zu stellen.
D. Der Rest von 800 MA wird zur Gründung einer Reservekasse verwendet und es
fließen in diesen Fonds sämtliche aus den verschiedenen Klassen anfallenden Zinsen und zwar
solange, bis das Kapital auf 10000 M angewachsen ist.
III. Die Gesuche um Darlehen sind nach Begutachtung durch den betreffenden Bezirks—
armenpflegschaftsrat an den Stiftungsausschuß zu überweisen, der Beschluß über die Anträge
faßt, die Rückzahlungsart festsetzt und deren Einhaltung überwacht. Sind die Kapitalien
Gemeinnützige Anstalten, Armenwesen und Wohltätigkeit