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Wahrheit. Ich kam hinein in die Stadtmauern
Zu Burgern und zu Handelsleuten,
Erst schiens, sie wollten wohl mich leiden,
Dergleichen auch der Handwerksmann;
Ich dacht, hie will ich Wohnung han,
Weil es hätt solch ein guten Schein.
Doch da ich sah auf den Grund hinein,
Da wohnet ihn'n fast allen bei
Der Eigennutz und Trügerei.
Derhalb blieb ich bis Vesperzeit.
Als ich erkannt ward als Wahrheit,
Da ward ich auch gleich ausgetrieben.
Bauer. So sag, und wo bist darnach blieben?
Wahrheit. Ei, da durchsucht' ich alle Ständ
Der ganzen Stadt an allem End:
Arm und Reich, allerlei Geschlecht,
Weib und Kinder, Magd und Knecht.
Aber da kunnt' ich nirgend bleiben,
Sie thäten mich überall austreiben;
Weil da sich hätt bei Groß und Klein
Lüg' und Arglist gewurzelt ein, J
Ward ich gar hin und hergerissen.
Drum ift mein Gwand also zerschlissen,
Und drum ich so zerflammet bin.
Bauer. Mein Wahrheit, wo kamst darnach hin?
Wahrheit. Ich stund und wußt nicht wo hinaus:
Dann ging ich hin aufs Gerichtshaus;
Weil da wohnt die Gerechtigkeit,
Dacht ich, da hält man wert Wahrheit.
Da ward ich aber gar betrogen,
Weil's Recht nur in die Läng ward zogen.
Schrift und Red so verständlich war'n
Gleich wie ein Strähn verwirrtes Garn
Und auf ein Centner List und Trug
Ein Quentlein Wahrheit war genug.
Als ich auch reden wollt darein,
Da schütteten sie allgemein
Die Dinten mir ins Angesicht,
Daß ich mich schier kennt selber nicht,
Und stießen aus mich vors Richthaus.
Bauer. So sag', wo kamst darnach hinaus?
Wahrheit. Alsbald mein Flucht ich eilig nahm
Und an ein's Fürsten Hof ich kam.
Gedacht', der Fürst samt seinem Adel,
Die lieben Wahrheit ohn' all' Tadel.