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IV. Gruppe.
Arbeiten aus Fellen, Häuten, Leder, Guttapercha und Gummi.
Von Kommerzienrat und Fabrikdirektor E. Kester.
Wir wollen die einzelnen Industrien der Gruppe IV uns nach der
Reihenfolge des Katalogs betrachten und beginnen mit der Pelgwaren-
Industrie und Kürschnerei, einer in Bayern nicht besonders stark ausge-
dehnten Industrie, da dieselbe (1875) nur 336 Betriebe, worunter 6 Gross-
betriebe, mit 87 Personen, aufweist. Sie war demgemäss auf der Ausstellung
auch nur schwach vertreten; die Pelzwarenfärberei sogar nur durch eine
einzige Firma, die allerdings durch die vorgeführten Produkte den Beweis
lieferte, dass dieser Industriezweig in Bayern auf einer solchen Stufe steht, dass
er die Konkurrenz anderer auswärtiger Fabrikate nicht zu scheuen hat.
Konfektionirte Pelzwaren waren zwar in vorzüglicher Ware zur Aus-
stellung gebracht, doch konnten dieselben kein Bild der Gesamtleistungs-
fähigkeit unseres Vaterlandes in diesem Industriezweige geben, da derselbe
leider nur durch zwei Aussteller vertreten war.
Die Schuhmacherei beschäftigte 49,158 Personen in 30,759 Betrieben.
In den 128 Grossbetrieben kommen auf je Einen: in der Pfalz 27, in
Unterfranken 14, in den übrigen Kreisen durchschnittlich. 9 Arbeiter. Die
Pfälzer Schuhwaren-Industrie ist auf Pirmasens konzentriert, wo 60 %, der
Bevölkerung damit beschäftigt sind. Den Anstoss hierzu gaben die Soldaten
der Pirmasenser Garde des Landgrafen von Hessen-Darmstadt Ludwig IX.,
die in ihrer freien Zeit mit Pantoffelmachen sich beschäftigten und einige
Familien zu dieser Industrie anregten, welche dann ihre Fabrikate hau-
sierend verkauften. Nach der französischen Revolution wurde diese Industrie
weiter ausgedehnt und Pirmasenser Schuhwaren wurden in den 50er Jahren
auf den Messen in Hamburg, Kiel, Lübeck, Berlin und Leipzig feilgeboten
und selbst bis nach Venedig und Mailand gebracht. Später fing man an
das Geschäft mehr kaufmännisch zu treiben, es wurden Geschäftsverbind-
ungen mit Südamerika angeknüpft und durch Einführung von Maschinen
die Massenproduktion ermöglicht. 1860 wurde diese Industrie die Nahrungs-
quelle von 2500 Menschen. Die jährliche Produktion entzifferte 1,265,000
Paar Schuhe im Werte von 1 Million Gulden. 1875 waren daselbst 24
Nähmaschinen mit Kraftbetrieb in Thätigkeit und von den 212 Nähmaschinen
mit Handbetrieb, welche 1875 im Schuhmachergewerbe des Landes in Be-
trieb waren, treffen auf die Pfalz 99.
Der Aufschwung der Schuhmacherei durch Anwendung von Maschinen
und Neuerungen in der Befestigung der Sohlen datiert überhaupt erst aus
diesem Jahrhundert. Bis dahin hatte der Schuhmacher oder Schuster —
von dem Lateinischen Sutor in Verbindung mit Schuh entstanden — das
Handwerk in der durch tausende von Jahren gekannten Art und Weise