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Industrie hier zu Lande durchaus nicht ungünstiger, ja zum Teil sogar
yünstiger liegen als in anderen Teilen des deutschen Reiches, da in Bayern
noch bedeutende Wasserkräfte unausgenützt sind und zwar an vollkommen
out und leicht zugängigen Stellen. Auch fehlt es nicht an Absatzgebieten,
da z. B. Australien und die Staaten Süd- und Mittel-Amerikas namentlich
aber der Orient nunmehr sehr bedeutende Mengen an Wollenwaren impor-
tieren. Die Erscheinung ist ferner um so auffallender, als Bayern schon
seit Jahrhunderten für die Tuchfabrikation eine Heimat besitzt und zu den
deutschen Ländern gehört, in welchen dieser Industriezweig zuerst dauernd
und in nicht geringer Ausdehnung Sitz gewann. In dieser Beziehung ist
besonders die Geschichte der Niederlassung und Entwickelung der Tuch-
fabrikation in der Rheinpfalz bedeutungsvoll und interessant.
Laut vorhandenen Urkunden wurde die Tuchmacherei in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Pfalz eingeführt und zwar in Folge
der Einwanderung einer grossen Zahl der durch Aufhebung des Edikt von
Nantes aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden vertriebenen Pro-
testanten die sich, vom Kurfürsten Friedrich IIL. und vom Pfalzgrafen
Johann Kasimir mit grosser Gunst behandelt, namentlich zu Frankenthal,
Otterberg, Kusel und Lambrecht niederliessen. Unter diesen befanden sich
viele Tuchmacher aus Verviers, dem damals hervorragendsten Sitz der Tuch-
macherei, und diese waren es, welche in den genannten Orten den Grund
zu jener Entwickelung des Tuchmachergewerbes legten, die seinen Ruf über
weite Länder verbreitete und denselben Jahrhunderte lang bis auf den
heutigen Tag erhielt. Der Landesherr, dem diese‘ Einwanderer ihre
neue Heimat verdankten, regelte in der fürsorglichsten Weise alle Ver-
hältnisse dieser Gemeinden nicht nur durch Gewährung voller Religions-
freiheit, sondern auch durch eine Reihe allgemeiner Bestimmungen über die
Erwerbung von Grund und Boden, die ausserordentliche Erleichterungen
brachten, sowie besondere Bestimmungen bezüglich der Tuchmacherei. —
So entstand die Tuchmacherzunft, welche strengstens auf Ordnung und gute
Sitte hielt, wie die noch vorhandenen Zunftordnungen beweisen. Die erste
Zunftordnung, datiert vom 16. August 1580, und von den Meistern und
Zehnmännern vereinbart, enthält u. A. bestimmte Abmachungen über die
Stärke der Tuche und die Vorschrift, dass „alle Tuche sobald sie gefärbt
und getrocknet wären visitiert werden‘‘ um dadurch den guten Ruf der Zunft
zu befestigen und zu erhalten. Namhafte Strafen bedrohten diejenigen,
welche den Zunftgesetzen zuwider handelten. — Bezeichnend ist übrigens,
dass im Jahre 1664 der Pfalzgraf Karl Ludwig das Hausieren mit Tuch
verbot und 1684 von Neuem schwere Strafandrohungen gegen das „‚fabrizieren,
verkaufen und verarbeiten von schlechten tuchen‘‘ erliess. — So entwickelte
sich die Tuchfabrikation ganz Besonders in Lambrecht zu sehr hoher Blüte,
als auch dieses Dorf von den Schrecken des pfälzischen und später spani-
schen Erbfolgekrieges getroffen und dessen Tuchindustrie fast vernichtet