— 814 —
altem Brauche beibehalten werden sollten. Namentlich den frommen
Hieronymus Paumgartner hatten diese ganz ohne Vollmacht abgegebenen
Erklärungen Agricolas förmlich begeistert, wofür ein von ihm verfaßtes,
im überschwänglichsten Tone gehaltenes Schreiben an denselben Zeug⸗
nis ablegt.
Dagegen sprachen sich die Gutachten der Geistlichen, welche der
Rat inzwischen eingefordert hatte, durchweg in ablehnendem Sinne
gegen das Interim aus. In einer geharnischten Predigt vom
3. August ermahnte Osiander das Volk, nicht um ein Haar breit vom
Worte Gottes zu weichen. Der Rat indes zog es vor, sich den unab—
lässig an ihn ergehenden Mahnungen des Kaisers zur völligen Durch⸗
führung des Interims wenigstens in einigen mehr äußerlichen Dingen
zu fügen und ordnete deshalb Michaelis 1548 eine neue Kirchen⸗
ordnung an, durch die eine Reihe bereits abgeschaffter Feiertage, Feste
von Heiligen, der Fronleichnamstag und die sog. dritten Feiertage an
den hohen Festen, sowie das Verbot des Fleischessens an gewissen
Tagen und die Privatabsolution (s. oben S. 852) wieder eingeführt
wurden. Bald darauf wurde aber auch nach dem Vorgang der mark⸗
gräflichen Regierung in Ansbach“) die gottesdienstliche Liturgie, vor—
nehmlich beim Abendmahl, oder wie auch die Evangelischen beständig
zu sagen pflegten, bei der Messe, wenn auch unwesentlich geändert.
Episteln und Evangelien sollten fortan lateinisch gesungen werden (doch
blieb die deutsche Verlesung derselben daneben bestehen), ebenso wurde
auch die Präfation, doch daß sie „rein“ sei (aber nicht der eigentliche
Meßkanon) und die erst kürzlich (15048) abgeschaffte Elevation, freilich
ohne zu klingeln, wieder eingeführt. Mit der Bestimmung, daß diese
Feier auch an Werktagen jederzeit, wenn Kommunikanten vorhanden
wären, stattfinden sollte, kam man dem Verlangen der Katholiken nach
den täglichen Messen, Horae canonicae, entgegen. Für die hohen
Festtage wurden auch die Metten (in der Nacht vor Tagesanbruch)
wieder angeordnet. In allem aber sollten die Geistlichen dem Volke
in rechter „christlicher“ Weise zureden und die katholische Bedeutung
ber neueingeführten Stücke möglichst im evangelischen Sinne auszulegen
suchen. Zumal die neuen Feiertage wollte man nicht etwa als zur
Feier der Heiligen bestimmt, sondern nur als eine gute Gelegenheit
zum Kirchenbesuch betrachtet wissen.
Die vorgenommenen, wie uns dünkt, nicht sehr erheblichen
Änderungen genügten indes, um in einer Zeit, wo die kleinste
Meinungsverschiedenheit in religiösen Dingen selbst zwischen den
) Die für den minderjährigen Sohn Georgs des Frommen, Georg Friedrich
(regierte von 1348 — 1608) die Vormundschaft führte.