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;chneereichen Lande die leichten Dächer der Angelsachsen für ihre Stabkirchen nicht
verwenden konnten, war nichts natürlicher, als dass sie ein widerstandsfähiges Dachmotiv
bei ihrem alten Freunde, dem vielgeprüften Drachenschiffe, suchten: was dem Meere
widerstanden hatte, würde auch dem Sturme und dem Schnee Widerstand leisten
können, und so wurde gewiss die alte Schiffskonstruktion für die Dächer der auch
den heidnischen Wikingern bekannten Stabbauten angewandt — während die
norwegischen Steinkirchen, welche den angelsächsischen nachgeahmt waren, eine
andere Konstruktion der Dächer zeigen, die nichts mit dem Schiffsbau gemeinsam
hat und vielleicht direkt von den Angelsachsen entlehnt ist. Darum war €s auch
so natürlich, die Stabkirchendächer mit den Drachenköpfen, die man den Steven-
figuren der Schiffe entnahm, zu schmücken. Auch hat man in der altnorwegischen
Sprache dasselbe Wort für Schiffstevenschmuck und Hausgiebelschmuck (brandar).
Wir dürfen aber weiter gehen: Nicht nur ist der Dachstuhl sozusagen ein um-
gekehrtes Boot, sondern jene die ganze Stabkirche durchdringende Bugkonstruktion
gehört ja ursprünglich dem Schiffbau an. Nur Seefahrern konnte es einfallen, diese
Verbindungen von dem Boote auf die Kirche zu übertragen, ausserdem wandten
die Angelsachsen gewiss diese Verbindung nie an; denn in den Steinbauten dieses
Volkes, die bekanntlich die Holzkonstruktionen in Stein nachbilden, wie Z. B. im
Thurme von Earls Barton, kommen überall nur Schrägstreben, niemals aber Büge
vor. Wir dürfen aber noch weiter gehen. Die Leistenprofile der Stabkirchen
kommen noch heute in den Booten der norwegischen Fischer vor, und die Vor-
richtung unter den Säulen, um dieselben in die Schwellen einzuzapfen, hat ihre
Form der ähnlichen Vorrichtung des im Schiffe aufzurichtenden Mastes entlehnt.
Dass das charakteristische Giebelsystem und die hohen Dächer neben den
niedrigen Wänden den klimatischen Verhältnissen Norwegens ihre Entstehung ver-
danken, erscheint mir auch sehr wahrscheinlich. Es war notwendig, den Stürmen
so wenig wie möglich Widerstandsflächen darzubieten; die nötigen viereckigen Wände
wurden darum möglichst hinter schrägen Dächern, die dem Winde keinen solchen
Widerstand entgegenstellten, versteckt, und nebenbei wurden die Wände, wo es
nur möglich war, mit schrägen Dreiecken, mit Giebelwänden vertauscht. War dies
aber einmal gemacht, so mussten auch die Giebel und Dächer selbst eine starke
Neigung bekommen, damit der Schnee nicht in allzu gewaltigen Massen darauf
liegen bliebe, und so entstand die eigentümliche, aus lauter Dreiecken zusammen-
gesetzte Pyramidenform der Stabkirchen doch wohl in Norwegen. Dass auch die
eigentümlichen Triforien hier entstanden sind, erscheint mir darum wahrscheinlich, weil
sie eben in der ältesten Kirche (Urnes) und einigen sehr alten Kirchen noch nicht vor-
kommen, sowie man überhaupt sehen kann, dass die ältesten Formen (die vielsäuligen
Kirchen) denen der Steinkirche am nächsten stehen, während die Formen, die ein
grösseres Verständnis für die eigentümlichen Vorteile des Holzes zeigen (die vier-
säuligen) die jüngeren sind — was ebenfalls für eine Entwicklung im Lande selbst
spricht. Ferner sind die Laufgänge gewiss dem norwegischen Wohnhaus, die Nibelungen-
darstellungen der norwegischen Form der Lieder entlehnt, und da somit eben alles, was
den ästhetischen Charakter der Kirchen bedingt, norwegisch zu sein scheint, glaube ich
oehaupten zu dürfen, dass Norwegen die von aussen empfangenen Bauformen zu
einem so charakteristischen und originalen Ausdruck nationaler Lebens- und Kultur-
verhältnisse umgestaltet hat, so dass wir in der That von einem altnorwegischen
Fachwerkbaustil reden dürfen.