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gezündet. Hierauf folgte, von dem 84. Psalm eingeleitet,
dievon Herrn Dr. Levingehaltene Weihepredigt, in welcher
derselbe in scharf durchdachter Auseinandersetzung die
von dem Naturalismus und Pessimismus aufgeworfene
Frage: »Hat das Gotteshaus noch eine Berechtigung? «
bejahend beantwortete, indem er gleichzeitig den Unter
schied zwischen Theologie und Religion betonte. Am
Schlusse seines Vortrages wies der Prediger besonders
auf die Nächstenliebe hin, hervorhebend, dass es keine
christliche, keine jüdische Liebe gebe, die Liebe sei
an keine Konfession gebunden, es gebe nur Eine
Liebe, welche sich des Satzes bewusst sei: »Diesen
Kuss der ganzen Welt, Brüder, überm Sternenzelt muss
ein guter Vater wohnen«.!) Ein Weihegebet, sowie
der 150. Psalm schloss die erhebende Feierlichkeit.« ?)
Nach derselben vereinigte ein Festmahl die Mitglieder
der Kultusverwaltung mit den auswärtigen Ehrengästen,
Auch Regierungsrat von Morettund Bürgermeister Freiherr
von Stromer waren erschienen. Der Trinkspruch des
Letzteren auf Rabbiner und Kultusvorstand erregte beson-
deres Interesse durch die historische Reminiscenz, mit
welcher er denselben einleitete. Es habe ihn — sagte der
Bürgermeister — besonders gefreut, bei der Einweihung
der Synagoge die Pforten derselben zu öffnen, nachdem
vor Jahrhunderten einer seiner Vorfahren — Ulrich
Stromer — die Juden Nürnbergs mit Feuer und Schwert
verfolgte.) Der Urahne habe im Geiste seiner Zeit
gehandelt, wie er, der späte Enkel, im Geiste unserer
‘) Die Rede ist gedruckt erschienen unter dem Titel: »Die
Berechtigung des Gotteshauses. Nürnberg, Verlag "der Friedrich
Korn’schen Buchhandlung 1874. Der Anhang enthält eine Beschreibung
der Feier, sowie die Ansprachen des Vorsitzenden der Gemeinde:
verwaltung Josephthal und des Bürgermeisters von Stromer.
?* Korrespondent vom 8. September 1874.
% Die freimütige und feinsinnige Rede des Bürgermeisters hat
folgenden historischen Hintergrund: Ulrich Stromer hat als
Abgesandter des Rates der Stadt Nürnberg beim Kaiser Karl IV.