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II. Die Festtage 6—
„und in seinem Geiste über Erbsünde, Erlösung, Rechtfertigung
ꝛc. ꝛc. disputieren; mehr als eigentümlich mutet es einen an,
die ersten Menschen, die Erzväter mit den Lehren des Apostels
Paulus vertraut zu sehen oder Gott selbst mit den Schriften
des hl. Augustinus oder dem Katechismus Lutheri. Aber gerade
diese Naivetät wirkte zündend auf die für die neue Lehre
begeisterten Massen, die solchen Reden mit ganz besonderer
Aufmerksamkeit lauschten. Diesem ersten Schritte zur Vervoll⸗
kommnung des Dramas folgte der zweite, daß er demselben
durch die Bearbeitung weltlicher Stoffe eine neue Richtung gab
und es wesentlich bereicherte. Die volkstümlichen Helden eines
Siegfried, Dietrich, Fortunat, Tristan, einer Griseldis und
Magelone boten ihm willkommenen Stoff, der ganz besonders
geeignet war, gleich einem Magnet auf die Menge zu wirken
und der Neuerung die Wege zu ebnen. Auch die griechischen
und römischen Klassiker, die er aus deutschen Üübersetzungen
kannte, sowie die Werke ausländischer Schriftsteller, z. B.
Boccaccios, mußten ihm Stoff liefern, dessen Bearbeitung ihm
allerdings weniger gelang, da ihm die jeweiligen Verhältnisse
zu ferne lagen.
An alle diese Versuche darf man aber keineswegs die
gleichen Anforderungen wie an die klassischen Dramen stellen;
diese Anforderungen waren Hans Sachs und seinen Zeitgenossen,
die gelehrtesten mit eingerechnet, unbekannt. Außer der moralischen
Tendenz war ihm die lebendige Vorführung einer Handlung
vor den Augen der Zuschauer die Hauptsache; deshalb wiegt
in allen seinen Tragödien und Komödien, zwischen welchen
Gattungen er nicht genau unterschied, die epische Art vor; sie
erscheinen als Erzählungen, in denen die Personen redend ein—
geführt werden. Diese Personen sind immer Nürnberger, gleich—
viel, ob sie Röͤmer oder Griechen, Juden oder Ritter dar—
zustellen hatten, was aber niemand auffiel, vielmehr die dar—
gestellten Personen den Zuschauern um so näher brachte,
je mehr sie von dem Lokalen und Herkömmlichen an sich“