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abhängige Entwicklung der theologischen Anschauungen der
jungen wittenberger Klosterbrüder ausgeschlossen wäre.
Vielmehr lassen die wen:gen uns erhaltenen Schreiben einen
weit regeren Briefverkehr des Generalvikars mit Wittenberg
vermuten. Was uns aber bestimmen muß, eine Übertragung
der augustinischen Heilslehre von Staupitz auf die Witten—
berger zu leugnen, ist der Umstand, daß Staupitz selbst nicht
eher dieselbe gekannt hat, als bis er durch die Erörterungen
über die Prädestination, die Luthers Ringen nach der Seligkeit
hervorriefen, auf die augustinischen Schriften geführt
wurde. s8t) Wie zufällig ist Luther Augustin in die Hände
gekommen, der vorher „nicht einmal ein klein wenig Gunst“
bei ihm hatte.22) Fortan war dieser Kirchenvater das
Studierbuch der Freunde, das sie insonderheit die neutestament—
lichen Briefe verstehen lehrtes), und Linck braucht im
Vorwort seiner erhaltenen ersten Schriften, die dem Jahre
1518 angehören, gar nicht besonders zu sagen, daß seine Aus—
führungen auf der Lehre Augustins basieren, die Sermone
selbst zeigen die Aneignung der Heilslehre, deren Weg der
Zekreuzigte Christus ist. a —
Wie selbständig aber das Studium dieses Theo⸗
logen bei Staupitz, wie bei Luther, bei CLuther, wie bei
Linck war, beweisen die Früchte zur Genüge, welche in
ihren Schriften um 1517 gezeitigt sind. Während Cuther
nur die eigene Unzulänglichkeit Augustin entnahm und
zum paulinischen „Glauben ohne des Gesetzes Werke“ ge⸗
langte, ist bei Staupitz hernach die Erwählungslehre der
Lentralisationspunkt seiner theologischen Anschauung, eine
Frucht, die im schroffsten Gegensatz zu seinem früheren geist⸗
lichen Zuspruch auf den um sein Seelenheil sich zu Tode
quälenden Martinus steht und die nur durch die geschilderte