Volltext: Bibel, Bd. 4: I Rg 12,8-Ier 24,1 – Nürnberg, STN, Solg. Ms. 4. 2°

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alte Macht, die Kirche, in dem ihr aufgedrungenen Kampfe mit 
teuflicher List den Mut zur inneren Freiheit niederzuhalten. Noch 
hatte sie ja die Gewalt in der Hand, und sie gebrauchte sie mit 
einem Fanatismus, einer Brutalität, die alles in den Bann starren 
Schreckens schlug. Das ausgehende Mittelalter und besonders die 
Jahrzehnte kurz vor der Reformation sind erfüllt von den Greueln 
der Inquisition, von Ketzergerichten und von Vernichtung selb- 
ständigen Denkens durch Bannstrahl, Feuer und Schwert. 
Der religiöse und nachdenkende Mensch des 15. und begin- 
nenden 16. Jahrhunderts litt unsäglich unter diesem inneren Zwie- 
spalt. Denn sein Herz musste ja im Stillen der neuen geistigen 
Grossmacht gehören, aber andererseits war er durch Jahrhunderte 
lange Erziehung gewöhnt, alle seine irdische Wirksamkeit aufzu- 
bauen auf religiöser Grundlage. Der neuen Gedanken- und Thätig- 
keitswelt fehlte diese Grundlage, die altüberkommene kirchliche 
Fassung des menschlichen Daseins aber bot seinem Entwicklungs- 
triebe keinen Raum mehr, sondern nur noch Schranken. Und 
doch wich die altgeheiligte, allmächtige und gestrenge „mater 
Ecclesia“ in nichts von ihrem Anspruche, dass Rettung für die 
Seele nur innerhalb dieser Schranken zu finden sei. „Extra 
ecclesiam nulla salus!“ Sich von dieser von Kindheit 
auf und immer und immer wieder eingehämmerten Vorstellung zu 
befreien, dazu war jene Zeit noch nicht stark genug, dazu be- 
durfte es der Riesenkraft eines Helden, der, sehnlich erwartet, 
immer noch ‚nicht als Führer seinem Volke erscheinen wollte. 
Haben uns doch sogar die jüngst verflossenen Jahre wieder das 
Schauspiel. gezeigt, wie innerlich bis an die Schwelle der Selb- 
ständigkeit gelangte aufgeklärte Männer, denen die Unhaltbarkeit 
des katholischen Lehrsystems immer deutlicher fühlbar geworden 
war, doch schliesslich immer wieder zur rechten Zeit die ret- 
:;ende Verbeugung vor der Allweisheit ihrer Kirche machten, weil 
sie auf. Grund ihrer Erziehung gar nicht anders'konnten. Das tra- 
Jitionelle Denken, in dem sie aufgewachsen sind, ist eben mäch- 
tiger als der — noch heute dort für unstatthaft geltende — 
Wille zur individuellen Freiheit. 
Dem Menschen von damals aber drohten ausserdem Bann- 
strahl, Feuer und Inquisition. Und wenn er sich in seiner Zeit 
umschaute, so konnte es ihm nur zu leicht so erscheinen, als ob
	        
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