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Darauf nahm ihn die Philofophia bei der Hand und
führte ihn au3 dem finftern Thal über eine Hohe, fHYmale
Brüde vor ein Gebirge, auf deffen Spike die Sonne er-
glänzte:
Sie fprach: „SGejell, wir wolln hinauf, *
Sar fcharf und rauh war der Weg,
Wenig gebahnt, ohn’ alle Steg;
€8 war mir |chwer und macht” mir heiß.
Die Philofophia tröftete ihn jedody und verwieS ihn
auf den Sohn, der feiner warte. Endlich erreichten fie des
Berges Spige; hier breitete fidhh ein Blumengefilde aus,
deffen Duft ihn Gerz und Seele erfüllte. Zwifdhen den
Blumen wandelten zwölf Frauen, welche füße Lieder ertönen
fießen und die Helden, die ihr Gefolge bildeten, mit Balmen-
zeigen fÄrönten.
Die Philofophia [prad: Das find die edeln Tugenden,
die aeben
Dem Menjchen fo ein fittlid Leben,
Machen ihn freundlid) und Holdfelig,
Sott, Freunden und Feinden gefällig.
an zu, bei der Tugend Beiwohnung
Dajt du die hHerrlide Belohnung,
Die dir ewig niemand mag nehmen,
Der Lafter aber mußt dich Naja men
‚00 + +. Darum Gejell',
Den beiten Teil dir auserwähl’.
Da fehrte fihh der Jüngling den Tugenden zu; aus
ihrer Reihe trat die Wahrheit und umfaßte ihn.
Drüdt mich fo hHerzlidh an ihr’ Bruft,
Davon ich auferwachen mußt.
Er blieb fortan der Tugend getreu und dichtete {hon
im folgenden Jahre (1514) fein erftes Meifterlied: „Oloria
oatrı, Lob und Ehr!“