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Herr Generalsekretär Fchlueter: M. H.! Ungefähr ein Jahr—
zehnt ist vergangen, seit die gesetzliche Organisation des deutschen Ge—⸗
werbes zu einem gewissen Abschluß gebracht worden ist. Man glaubte
damals, durch die Errichtung der Handelskammern, durch den Erlaß des
Handwerkergesetzes mit seinen Innungen und Handwerkskammern nicht
nur etwas Endgültiges, sondern auch etwas Gutes geschaffen zu haben.
Leider hat aber die Erfahrung der seither verflossenen Jahre gezeigt, daß
sich die auf den Ausbau der Reichsgewerbeordnung und den Erlaß des
Handelskammergesetzes gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt haben; überall
trifft man vielmehr auf Unzufriedenheit mit der gesetzlichen Organisation
des Gewerbes.
Es ist deshalb in den letzten Jahren wiederholt bei uns angeregt
worden, die Frage der gesetzlichen Organisation des Gewerbes, insbe—
sondere des Müllergewerbes, öffentlich zu erörtern. Unser Verband hat
aber bisher davon abgesehen, weil keine Hoffnung vorhanden zu sein
schien, daß sich der Gesetzgeber schon so bald wieder mit dieser Angelegen—
heit beschäftigen würde. Nunmehr aber steht fest, daß sich die zu—
ständigen Behörden der Einsicht nicht länger verschließen, daß hier die
bessernde Hand angelegt werden müsse; es ergibt sich das aus verschie—
denen Mitteilungen in der Presse und den Parlamenten. Wie weit die
Erwägungen bei den Behörden fortgeschritten sind, ist zwar noch nicht
erkennbar. Da aber der Zeitpunkt des Beginns einer Revision der be—
treffenden Gesetzgebung gekommen zu sein scheint, so ist es Sache der
Unternehmerverbände, sich ebenfalls damit zu beschäftigen, um insbesondere
das Interesse der Müllerei wahrzunehmen, damit man nicht von den Er—
eignissen überrascht werde. Denn die Erfahrung hat gelehrt, daß die
Behörden nicht immer die nötige Fühlung mit den Interessenten haben.
Es sei in dieser Beziehung als warnendes Beispiel nur daran erinnert,
daß bei der Vorbereitung und beim Abschluß der neuen Handelsverträge
den Interessenten keineswegs diejenige Mitwirkung eingeräumt worden
ist, die nötig gewesen wäre, um verschiedene Gewerbezweige vor Schaden
zu bewahren.
Die Unzufriedenheit, die, wie schon gesagt, überall über die gesetzliche
Organisation des Gewerbes laut wird, bewegt sich hauptsächlich in drei
Richtungen.
Einmal empfindet man es als einen großen Mangel, daß unsere
Gewerbegesetze zwar durchweg Reichsgesetze sind, aber keineswegs gleich—
mäßig und einheitlich vom Reich durchgeführt und überwacht werden, auch
nicht einmal von den Spitzen der einzelnen Bundesstaaten, sondern oft von
nachgeordneten Behörden. Es konnte deshalb nicht ausbleiben, daß die
Ausführung und Überwachung der Gesetze sehr verschiedenartig ausfallen
— FD—
über die gewerbliche Sonntagsruhe wird erfahrungsgemäß außerordentlich
verschieden gehandhabt, und nicht nur, daß gewisse Bestimmungen eine
verschiedene Auslegung erfahren, darüber hinaus ist sogar erkennbar, daß
in dem einen Bezirk gewisse Bestimmungen (es handelt sich dabei haupt—
sächlich um die Ausnahmen) sehr scharf, in dem anderen Bezirk recht
milde gehandhabt werden. Insbesondere gilt das von den Ausnahme—