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Dreißigstes Kapitel.
Der fröhliche Fortschritt der Reformation sollte freilich vor—
erst noch durch manches Hemmnis aufgehalten werden: größere
Gefahr noch als aus dem Wüten Roms sollte der Sache Gottes
kommen aus dem tollen Geist des Aufruhrs, der sich zufolge
der mißverstandenen christlichen Freiheit der Bauernschaft bemäch—
tigte, und aus dem Wahnsinn der Schwarmgeister, denen Luther
noch ein halber Päpstling war, und die ihn „das sanftlebende
Fleisch“ schimpften. Aber gerade in diesen Stürmen bewährte
sich der Wittenberger Mönch als der wahre Prophet des Höch—
sten, und seine Gestalt wuchs in den Augen aller Einsichtigen
zu riesenhafter Höhe, da alle diese wilden Wogen sich gelegt
hatten und der Steuermann mit majestätischer Ruhe an dem
Ruder stand. —
Dürer war ganz voll von Gottes Wort, wie ein Tau—
tropfen vom Sonnenschein. Er las nicht bloß die Schrift, er
lebte in der Schrift, und wieder drängte es ihn, was er selbst
in sich erlebt, auf seine Art dem Volk zu predigen. Was Hans
Sachs in Worten sagte, er wollte es in Farben verkünden. Und
so griff er aufs neue zum Pinsel, und er fühlte es: mit solcher
heiligen Begeisterung und Begeistung war er noch nie zur Staf—
felei getreten, er ahnte es: was jetzt geschaffen werden würde,
das würde sein Allerbestes werden.
Statt der Maria, in deren Verherrlichung er sich bisher
erschöpft hatte, stellte er den Erlöser im Bilde vor die Welt
hin. Wie Luther Christum und sein alleingültiges Verdienst mit
neuen Zungen predigte, so malte Dürer denselben dem Volke
vor die Augen, sei es im Gespräch mit seinen Jüngern nach
dem heiligen Mahl, sei es auf dem Opferaltar des Kreuzes, sei
es auch bloß das Haupt voll Blut und Wunden. Bei letzterem
schien er seine ganze Kraft zusammengenommen und aus den
Tiefen seiner Seele geschöpft zu haben; das war ein Haupt, wie