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auch wenn die Absicht widerrechtlicher Aneignung von Land seitens
der Grenznachbarn nicht vorliegt. Wird die Pflugfurche nur um
einige Centimeter unrichtig gezogen, so können bei jahrelanger
Wiederholung schließlich erhebliche Grenzverschiebungen entstehen.
Noch erheblicher werden die letzteren, wenn die Pflugfurchen in
der Absicht der Landaneignung gezogen werden. So ist es bei
gewannenförmiger Lage der Ackerstücke, wie sie in dem meist sehr
zerstückelten Grundbesitz im Westen des Staates vorzuherrschen
pflegt, eine häufige Erscheinung, daß die Ackerstücke von Minder—
jährigen oder von anderen Personen, welche ihre Rechte nicht
persönlich wahrnehmen können, von Jahr zu Jahr schmäler zu
werden pflegen und nicht selten ganz verschwinden. In der
Katasterverwaltung ist die Erfahrung gemacht, daß Vermessungen,
welche vor 50 Jahren in einer jeden Zweifel an sorgfältiger
Ausführung ausschließenden Art und Weise vollzogen sind, heute
durch eine Neumessung ersetzt werden müssen, weil in den Acker
stücken ein durchgreifender Mangel an Übereinstimmung zwischen
Feld und Karte besteht, welcher nur durch allmähliche
Grenzverschiebung hervorgerufen sein kann.“
Diese Ausführungen haben für die bayerische Rheinpfalz
und die fränkischen Gebietsteile, wo die Grenzfurche vorwiegend
üblich ist, völlig gleichmäßige Geltung. Aber auch in den östlichen und
südlichen Teilen Bayerns läßt sich alljährlich bei der Feldbestellung
leicht beobachten, daß der Grenzrain dem unachtsamen wie dem
habgierigen Pfluge keine größeren Hindernisse entgegenstellt, als die
Grenzfurche, daß die Grenzhecken durch das Beschneiden und Aus—
wuchern, die Grenzgräben durch Verwachsen und Wiederaufräumen
verhältnismäßig recht bedeutenden Verschiebungen ausgesetzt sind.
Solche Zustände müssen aber nicht nur direkt zu Streit und
Unfrieden zwischen den Grenznachbarn führen. Sie sind auch
indirekt um so mehr geeignet, den Sinn für Ordnung und Recht
unter der Landbevölkerung zu erschüttern und zu untergraben,
als die bayer. Zivilgesetzgebung dem technischen Nachweise des
Grenzverlaufes nur untergeordnete Bedeutung beilegt, dagegen
die Verjährung des Besitzstandes zuläßt, sodaß die Möglichkeit
nichts weniger als ausgeschlossen ist, daß die mit der gehörigen
Vorsicht ausgeübte habgierige Aneignung von Grund und Boden
schließlich in einem Grenzprozesse den Sieg davonträgt.