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genommen werden, kann mithin ganz zwanglos nur für die Dia-
lektik in Betracht kommen. !
Die dritte der freien Künste, die Rhetori k, hat im Laufe
der Jahrhunderte eine Wandlung durchgemacht. Das Wesen der
antiken Rhetoren war ja dem Mittelalter fremd. Den mit dem
Schema der 7 Künste aus der Antike übernommenen Begriff der
Rhetorik suchte man daher schon frühzeitig mit anderem Inhalte
zu füllen, der dem mittelalterlichen Menschen verständlicher war.
Da es nun doch um der Einheit des Systems willen recht wün-
schenswert war, ein so wichtiges Gebiet wie die Jurisprudenz in
die sieben freien Künste einzugliedern, so finden wir schon bei
dem Vater der ınittelalterlichen Scholastik, bei Isidor von Sevilla,
die Rhetorik in erster Linie als Lehrerin des Rechtes erklärt.
Alkuin und Rhabanus Maurus ‚setzen dann die Rechtskunde ohne
weiteres in das Trivium mit ein, Karl der Grosse wünscht die
Rhetorik nur zu erlernen wegen ihrer Bedeutung für die „quaes-
tiones civiles“, Hibernicus exul, der Dichter aus karolingischer
Zeit, besingt die Rethorik als Lehrerin des „jus civile“ und rechts-
kundige Geistliche heissen im Mittelalter geradezu „Rhetores“, ?
Darum führt auch die Gestalt der Rhetorik auf dem Relief am
Campanile des Florentiner Domes Schwert und Schild, auf dem
sog. „Kartenspiel des Mantegna“ Schwert und Helm.
Zu Dürers Zeit hatte sich die Jurisprudenz, wie wir oben sahen,
schon aus dem allgemeinen Verbande der der Philosophie unterstellten
Künste gelöst. So gut aber die Medizin von Dürer hier mit aufgenom-
men ist, wie wir nachher sehen werden, und zwar ganz schlicht mitten
unter den mechanischen Künsten, so gut wird auch die Jurispru-
1 Nicht unerwähnt will ich für alle Fälle lassen, dass hie und da
der Hund als Begleittier der Dialektik auftritt. Auf dem Rundbild
der sieben freien Künste im Hortus deliciarum der Herrad von Lands-
perg (S. 53) trägt die Dialektik einen Hundekopf in der Hand, und
die Umschrift besagt: «Argumenta sino concurrere more canino». Selbst
im 15. Jahrhundert fand Ich noch ein Beispiel, «im Spiegel des mensch-
lichen Lebens» (Augsburger deutsche Ausgabe von 1479, Cap. 34), wo
ein Hund vor dem Vertreter der Dialektik liegt. Für einen Künstler
wie Dürer passt aber diese mittelalterliche Symbolik nicht mehr. Der
grosse Hund, der zu Füssen der Melancholie schlummert, ist der Ver-
treter der 5, mechanischen Kunst, der Jagd. Vgl. weiter unten.
? Vgl. Gabriel Meyer, die 7 elen Künste im Mittelalter,
Jahresbericht der Lehranstalt zu Einsiedeln 1886 und 1887, S. 8 und
9 Anm. ı und 6, Baumgartena. a. 0.58. 29 und Anm, 17 und 44.