Volltext: Albert Dürer

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betrübten Mutter und den heiligen Frauen. Ihm folgt die Krone des 
ganzen Werkes, der Tod der heiligen Jungfrau, der irdische Abschluß des 
gottgesegneten Daseins. Nie ist die Weihe einer Sterbestunde heiliger, 
höher und ergreifender dargestellt worden, als in diesem Blatte. Alle die 
Erinnerungen, die tiefen Seeleneindrücke von den Sterbebetten der eigenen 
Eltern, die so rührend in Dürer's Tagebuch verzeichnet sind; hier hat er 
sie zusammengefaßt zu einem Gesammteindrucke von einer Größe und 
Erhabenheit, wie nie ein Anderer vor oder nach ihm. Nichts blieb übrig 
noch, als der himmlische Triumph der göttlichen Dulderin, die in den 
höchsten Regionen des seligen Himmelreichs die Krone des ewigen Lebens 
empfängt, während die mächtigen Apostelgestalten das offene, leere Grab 
anbetend und staunend umgeben. 
Dürer hat in diesem wunderbar reichen Gedichte eine solche Fülle 
wahrhaft lebendiger Charaktere erschaffen, daß viele, selbst der besten 
Künstler aller Zeiten in der Reihe ihrer ggsammten Schöpfungen zusammen 
nicht halb so viel Gestalten so eigenartigen Gepräges, so originaler Neu— 
heit aufzuweisen haben. Denn gerade in dieser freien Schöpferkraft, un— 
abhängig von Vorgängern und Mitlebenden, steht Dürer so einzig groß 
da, wie kein Anderer! Wenn man selbst in Raphael lange noch den 
Perugin erkennt und selbst in den Werken seiner reifsten Zeit oft genug 
den bestimmten Anlehnungspunkt entdeckt, wie oft schon nachgewiesen 
wurde, so wird man in Dürer's Werken fast vergebens nach den Einflüssen 
Wohlgemuth's suchen und kaum irgend eine vorübergehende Spur ent— 
decken von Nachbildung anderer Meister und ihrer Werke. 
Wenn der jüngere Holbein ihn ohne Zweifel in malerischer Durch— 
bildung und Vollendung übertrifft, wie arm erscheint er doch, trotz seiner 
reichen Begabung, in Bezug auf poetische Erfindung in Zeichnungen und 
Holzschnitten gegen die Fülle seines großen Vorgängers. Aber auch 
Lionardo, Raphael und Michelangelo haben, trotz der umfassendsten Werke 
in großem Maßstabe, doch sicherlich keine größere Zahl von Gestalten er— 
schaffen, als Dürer, der freilich die meisten nur in seinen Zeichnungen, 
Holzschnitten und Kupferstichen zur Erscheinung bringen konnte, da ihm 
die großartige Gelegenheit zu Schöpfungen in Wandbildern fehlte, die 
seinen italienischen Zeitgenossen so reichlich zufiel. Wollte man in Bezug 
auf diesen Reichthum der Erfindungsgabe einen Vergleich versuchen, so 
dürfte man nur den einen Rembrandt, auch einen germanischen
	        
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