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So wünschte sie nun selbst den Freund kurze
Zeit allein zu sprechen und freute sich, als der
Vater Friedrich an seine Seite riet.
„Kommen Sie, lieber Freund. Unter dem
Holunderbusch ist noch unsere kleine Kinderbank.
Lassen Sie uns da einen Augenblick rasten, und
gestehen Sie mir dort, warum Sie so düster find.“
Sie eilte voraus. Haßner folgte ihr in leiden⸗
schaftlicher Ungeduld. Und Anne beugte sich unter
die Holunderzweige und schmiegte sich auf die
kleine Bank.
Haßner riß die Zweige auseinander und sah
auf Anne. Das Blut dröhnte ihm in den Ohren.
Anne sah erstaunt in seine brennenden Augen — sie
hört nichts als das Rauschen des Stroms und das
heftige Atmen des Mannes.
Da ließ er die Zweige fahren und stürzte zu
ihren Füßen nieder und barg seinen Kopf in ihrem
Schoß. „Anne, Weib, Weihb, es ist nicht zu ertragen
so. Ich kann es nicht mehr. Wie ich Dich liebe,
liebe — Du! Ich kann nicht mehr —“
Anne hörte mit stockendem Pulsschlag das
leidenschaftliche Flüstern des Mannes. Sie konnte
nichts denken. Sie fühlte nur seine Nähe, sie fühlte
seine Leidenschaft und fühlte, wie sie in ihr zündete.
Alles Sein ging auf in dem Jubel: Liebe, Liebe!
— Er fühlte, wie sie bebte. Er riß sie an sich,
ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken. Da — wie
fie seinen heißen Atem fühlte, sprang sie auf, stemmte
fich gegen ihn und stieß ihn von sich. Das Antlitz
ihres Vaters war plötzlich vor ihrem inneren
Auge erschienen. Wie konnte sie vor ihm bestehen,
wie hatte sie ihn vergessen können, ihr Ver—
sprechen! —