Volltext: Beiträge zu Dürers Weltanschauung

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Hieronymus und Melancholie, sind auf demselben Baume der 
mittelalterlichen Wissenseinteilung erwachsen, wie Raffaels vielge- 
priesene Fresken der Stanza della Segnatura, und sind ebensowenig 
verständlich ohne Kenntnis dieses historischen Stammbaumes, wie 
jene. Wohl aber ist das geistige Eigentum Dürers an diesen 
Blättern grösser, als das Raffaels an seinen Fresken im Vatikan. 
Nicht nur in den Einzelheiten werden wir finden, dass Dürer 
weit unabhängiger der Ueberlieferung gegenübersteht, als der 
unter den Augen des Papstes und scholastisch geschulter Kleriker 
für eine Klerikerbibliothek schaffende Raffael, sondern der Kern- 
unterschied ist der, dass Dürer die alte scholastische Form benutzt 
hat, um einen ganz neuen Gedanken hineinzugiessen, einen deutschen, 
einen religiösen Gedanken, ein Stück Weltanschauung der vorrefor- 
matorischen Zeit, von der allerdings am päpstlichen Hofe Julius II. 
nichts. verlauten durfte. Dadurch werden die beiden- schlichten 
Blätter in ihrer Art zu viel wertvolleren kulturgeschichtlichen, 
geistigen Denkmälern ihrer Zeit, als die drei Jahre vorher 
vollendeten Fresken Raffaels, die völlig im gedanklichen Rahmen 
der Ueberlieferung stehen, unberührt von der mächtigen geistigen 
Gährung, die jenseits der Alpen den Bann der Veberlieferung 
eben in diesen Jahren zu sprengen sich anschickte. 
Ehe wir aber diese letzten Vergleiche und Schlüsse ziehen, 
wollen wir kurz die Einzelheiten auf dem Stiche der Melancholie 
erklären, damit auch die, welche bisher noch zweifelnd der Ent- 
wicklung des historischen Stammbaumes jener „rätselhaftesten“ 
aller Dürerischen Schöpfungen gegenübergestanden haben, sich von 
der Richtigkeit der bisherigen Ausführungen überzeugen können. 
Unser Leitfaden wird dabei die alte Tradition in der Einteilung 
der weltlichen Wissenszweige sein. An Eines sei gleich erinnert : 
die Schilderung der intellektuellen Tugenden in Reisch’s Margaritha 
philosophica liess sich, wie wir oben in Kapitel 1 erfuhren, so 
überraschend in Einklang bringen mit vielen der auf der Melan- 
cholie dargestellten Gegenstände. Der Grund dafür ist sehr 
einfach: Reisch hat sich bei der Schilderung der „Virtutes in- 
tellectuales“ auf's Engste angeschlossen an das seit Jahrhun- 
derten übliche Schema der Beschreibung der freien und mechani- 
schen Künste. Ganze Satzfolgen stimmen wörtlich mit den be- 
treffenden Abschnitten bei Vincenz v. Beauvais. Hugo von St.
	        
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