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mit Deinem Glanze den Stoff verzierst. Die deutsche Inschrift des
Bildes lautet:
«Je länger je lieber bin ich allein,
Dann Trew und Warheit ist worden klein».
Hierauf folgt ein dem Mädchen von Melanchthon in den Mund
gelegtes etwas pessimistisches Lob der Einsamkeit. |
(Um Irrtümern vorzubeugen sei bemerkt, dass nach Cohn’s
überzeugendem Nachweis die Pflanze „Solanum dulcamara“ damals
in Deutschland neben dem Namen Bittersüss auch den Namen
„Je länger je lieber“ führte.)
Wir sehen also daraus, dass in Deutschland in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Kranz von Bittersüss das Ab-
zeichen der die Einsamkeit aufsuchenden Schwermut war. Es ist
leider aus Melanchthons Briefe über die Entstehungszeit jenes
Gemäldes nichts zu entnehmen. Es wäre ja auch möglich, dass
es schon vor Dürers Melancholie geschaffen worden war, sodass
Dürer nicht der Erste gewesen wäre, der eine Frauengestalt durch
Aufsetzen dieses Kranzes als Schwermut charakterisierte. Meine
Nachforschungen in dieser Richtung hatten leider noch kein Er-
gebnis. Die Darstellungen des Temperamentes Melancholie, z. B. im
livre d’heure des Simon Vostre vom Jahre 1502 und des Germain
Hardouyn vom Jahre 1534,! die uns ein altes Weib mit einem
Schweine zeigen, oder die im Kalender des Hans Schönsperger
(Augsburg 1495),” die uns einen am Tische eingeschlafenen
Mann und eine am Spinnrocken eingenickte Frau zeigt, haben
mit Dürers Auffassung nichts zu thun und bringen uns nicht weiter.
Sonst fand ich aus vor-Dürerischer Zeit nur eine auf ihre
Richtigkeit nicht mehr nachzuprüfende Nachricht, dass Mantegna
eine „Malancolia“ gemalt habe, die sich 1685 in Ferrara befand.
Sie scheint aber, falls sie wirklich von Mantegna herrührte, eine
ganz andere Auffassung wiedergegeben zu haben, nämlich 16
singende und tanzende Putten.®
ı Vgl. Brunet IV, 794. Barbier de Montault, Traite€ d’Iconographie
I, 158.
2 Auch abgeb, in Scheible’s Schaltjahr Bd. I, 28. Vgl. Allihn, Dürer-
studien 102.
3 Camporli, Raccolta di cataloghi p. 328. Catalogo dei quadri del
principe Cesare Ignazio d’Este Arch. Pal. 1685. «Un quadro su Vasecia