ILL. Abschnitt.
Gottsched und seine Zeit.
Im achtzehnten Jahrhundert hat vor dem Auftreten unserer
Klassiker kein literarisches Ereignis so viele Kräfte in Bewegung
gesetzt und so viel Aufmerksamkeit erregt als der Kampf um die
theoretischen Grundlagen der Poesie, der zwischen Leipzig und
Zürich, zwischen Gottsched und Bodmer und ihrem beiderseitigen
Anhange ausgefochten wurde. Dieser Kampf, in dem der Schleier
von so mancher literarischen Geschmackssünde gezogen wurde und
an den Erzeugnissen der Dichtkunst gezeigt werden sollte, welchem
Ziele diese eigentlich zuzustreben habe, hat auch Hans Sachs wieder
in eine eigenartige Beleuchtung gerückt. Im vorangehenden Abschnitt
hatte sich gezeigt, daß man in verständigen Kreisen auch zu einer
verständigen Auffassung von dem Werte Hans Sachsens durch-
gedrungen war. Hat nun diese gesunde Auffassung in dem eben
erwähnten Streite neue Nahrung erhalten, ist sie gefördert oder
geschädigt worden, ist überhaupt neues Licht auf die Beschaffenheit
les Meistergesanges gefallen, hat eine der beiden streitenden Parteien
ein besonderes Verdienst um die Förderung literarischer Erkenntnis
nach dieser Seite sich erworben? Es muß da gleich festgestellt
werden, daß keine der beiden Parteien sich zu einer solchen Auf-
fassung von dem Werte Hans Sachsens emporgeschwungen hat, daß
wir einen wirklich ernsten Fortschritt in der Hans-Sachs-Frage darin
erkennen würden, Wollten wir den ganzen Streit zwischen Leipzig
und Zürich nach der Stellung beurteilen, die Hans Sachs darin
einnimmt, so würde er keine viel höhere Bedeutung haben als die
Klopffechterei, in der Wernicke und Hunold ihre Waffen aus dem
Zeughaus des Meistergesanges holten. Eines aber steht fest: Gottsched
hat, was Hans Sachs anlangt, den Führer der Züricher weit überholt,
er hat, wenn er auch das Wesen der Hans-Sachsischen Dichtungsart
nicht in ihrem Innersten zu erfassen vermochte, doch äußerlich die
Kenntnis Hans Sachsens gefördert. Bodmer dagegen hat Zeit seines