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Endlich noch zwei Vorwürfe allgemeiner Art (gegen das Mittel-
bild), Einmal: »Die Leere im Raum, der nicht von den Figuren
gefüllt ist, sondern als ein Vakuum gähnt und durch die minuziösen
zwei Engelchen, die reinmachen, nur noch leerer erscheint«. Gewiß
ist dies ein Mangel des Bildes, aber es teilt ihn mit den unbezweifel-
ten frühen Werken Dürers. Freilich entwickelt sich Dürer hierin
demselben Ideal zu, das Wölfflin vorschwebt, nämlich der Raum-
einheit und der Flächenfüllung im Sinne des Cinquecento, doch er-
reicht er das erst sehr viel später. Ich habe an anderer Stelle
darauf hingewiesen, daß sich Dürer erst spät, und auch dann nicht
vollständig, zur Raumeinheit durcharbeitet: die Figuren befinden
sich in seinen früheren Arbeiten vorn auf einer kleinen Bühne, oft
geradezu reliefartig, der objektive Raum ist angeschoben. Man
betrachte daraufhin z. B. die Beweinung in der Großen Passion,
und noch die Ruhe auf der Flucht im Marienleben. — In der
Flächenfüllung kommt er etwas früher auf die von Wölfflin ge-
wünschte Stufe.
Ebenso vom Standpunkt des Cinquecento gedacht ist der letzte
Vorwurf: »es sind da eine Reihe von kleinen Motivchen angebracht,
die im Gesamtanblick gar nicht mitsprechen und eine Betrachtung
aus nächster Nähe verlangen« — eine Anzahl Details, die »Däum-
linge von Engelne; der »sonderbare« Kontrast zwischen solchem
Behagen am Kleinlichen und der großen Anlage des Hauptmotivs
müsse wiederum den Glauben an Dürers Autorschaft erschüttern.
Darf man ein Dürersches Werk für unecht erklären, weil kleine
Motive mit einem großen konkurrieren? Fra Bartolommeo würde
davon sprechen, er würde das Bild miserabel finden, aber Fra Bar-
tolommeo ist auch kein Kunstkritiker. Ein Geschmacksurteil von
einem feinen künstlerischen Menschen ist uns von hohem Wert,
auch wenn wir selbst ganz anderer Ansicht sind. Also wenn z. B.
Signorelli von Böcklin getadelt wird, so interessiert es uns zu sehen,
wie der eine künstlerische Organismus auf den andern reagiert,
beide werden uns dadurch schärfer beleuchtet; doch wird man des-
halb die Werke des einen nicht für unecht halten. Wenn also eine
künstlerische Natur von ganz ungewöhnlich feinem Empfinden, das
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