Volltext: Offizieller Bericht über die Verhandlungen des Kunsthistorischen Kongresses zu Nürnberg

dass an eine Verdrängung desselben durch ein anderes, dessen Gesetze an erst 
langsam kennen lernte, zu denken gewesen. wäre. Nur ım dekorativen Damen 
konnte die Renaissance zunächst Erfolge erringen, Dur ganz allmählich hat sie dann 
weiterhin zu einer Zersetzung, insbesondere des alten Kirchenstils, geführt. Die 
Entwickelung eines neuen, national durchgebildeten Stils verbindens in Deutschland 
lie Reformation, durch die man sich gewöhnte, auf die Ausserlichkeiten der Gottes- 
verehrung geringeren Wert zu legen. Und selbst in unserer Profanarchitektur hat 
sich kein eigentlich nationaler Stil wieder entwickelt. Die deutschen Schlossbauten 
des 16. Jahrhunderts zeigen ausnahmslos ein Hinneigen entweder zu Tialien oder 
zu den Niederlanden, in welchen beiden Ländern — ich kann darauf hier nicht 
näher eingehen — die Bedingungen für die Ausbildung eines eigenen Stils 
günstigere waren. 
Wie leicht hätte es den andern Künsten ähnlich ergehen, wie leicht auch 
hätten sie, als das grosse Neue urplötzlich auf sie eindrang, in blöde, verständnis- 
lose Nachahmung verfallen können! Dass dies zunächst nicht geschah, haben wir 
fast lediglich dem grossen Genius zu verdanken, der berufen war, die deutsche 
Kunst zur nicht wieder erreichten Höhe zu führen, Albrecht Dürer. 
Es kann nicht meine Absicht sein, mich hier auf eine eingehende Würdigung 
von Dürers Schaffen einzulassen, und so will ich denn nur kurz darauf hinweisen, 
dass das Hauptverdienst Dürers um die deutsche Kunst darin besteht, dass er 
zwar die antikische Art voll auf sich wirken liess und ihr entnahm, was Schönes 
und Grosses namentlich für die Form aus ihr zu gewinnen war, dass er ihr aber 
auch nicht den kleinsten Teil seines ureignen Wesens dauernd geopfert hat. Ganz 
bewusst benutzte er die liebreizenden Formen einer Venus, die herrliche Gestalt 
des Apollo dazu, um die allerreineste Jungfrau Maria und den Herrn Christus nur 
immer schöner und vollkommener zu bilden, den kraftstrotzenden Bau eines Herkules, 
um Simsons Stärke besser veranschaulichen zu können. Und in den grössten 
Werken seiner mittleren Zeit, den drei berühmten Stichen: „Ritter, Tod und Teufel“, 
„St. Hieronymus im Gehäus“ und „Melancholie“, wie in dem Hauptwerk seiner 
Spätzeit, den Münchener Aposteln, finden wir endlich von eigentlichen Renaissance- 
einflüssen wenig mehr. Nur die Läuterung ist geblieben, welche die Form durch 
das Studium der Antike und der grossen Italiener erfahren hat. Der Inhalt, der 
Gedanke, der Kern ist überall urdeutsch. 
Etwa ein Viertel-Jahrtausend später haben sich in der deutschen Kunst- und 
Litteraturgeschichte fast genau die gleichen Vorgänge abgespielt, nur mit dem Unter- 
schiede, dass damals die bildenden Künste, und besonders die Baukunst, einem 
verständnislosen Klassizismus und Manierismus verfielen, während die deutsche 
Litteratur einer neuen Blütezeit entgegen ging. Auch damals hätte der durch 
Winckelmann wieder wachgerufene Einfluss der Antike, oder -— wenn wir ein 
bestimmteres Moment anführen wollen — hätte Goethes italienische Reise dieser 
Blüte verhängnisvoll werden können; und wenn dies nicht in dem Umfange geschah, 
wie zu befürchten stand, so haben wir den Grund dafür wieder hauptsächlich in 
der innersten Natur des einen Goethe zu suchen, dessen Wesen denn doch zu 
selbständig und zu deutsch war, als dass er sich in eine geistige Abhängigkeit von 
den vielbewunderten Schriftstellern des Altertums hätte begeben können. Die durch 
die erweiterte Kenntnis der Antike herbeigeführte Wandlung betraf auch hier nur 
die Form. Aber indem Goethe hierin nicht mehr einzig und allein den KEin-
	        
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