Volltext: Offizieller Bericht über die Verhandlungen des Kunsthistorischen Kongresses zu Nürnberg

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gemeinsamen Kulminationspunkt kaum jemals gehabt haben. Diese auffallende 
Erscheinung liegt zweifellos tief im Wesen unseres Volkes begründet, und die all- 
gemeine Betrachtung würde daher von psychologischen Argumenten auszugehen 
haben. Aber ausser der philosophischen Seite hat die Sache auch noch eine 
historische, und gerade das Forschen nach den aus den jeweiligen Zeitumständen 
abzuleitenden Gründen wird bei der Beschäftigung mit einem einzelnen Zeitabschnitt 
in den Vordergrund treten müssen. 
Die Darlegung eben dieser Gründe wird auch meine Hauptaufgabe sein, wenn 
ich jetzt dazu übergehe, das wechselseitige Verhältnis, in welchem die deutsche 
Kunst und die deutsche schöne Litteratur um die Wende des 15. Jahrhunderts 
stehen, näher ins Auge zu fassen. Diese Zeit eignet sich insofern am besten für 
unsere Betrachtung, als in ihr der erwähnte Kontrast so scharf und schneidend 
hervorgetreten ist wie niemals sonst, weder vorher noch nachher. Und zudem ist 
es ja Nürnberg, die Stadt, in der uns diese Tage des kunsthistorischen Kongresses 
zusammengeführt haben, welches der Mittelpunkt des künstlerischen wie des littera- 
fischen Lebens im damaligen Deutschland war, und dessen Geschichte demnach 
für einen grossen Teil meiner Ausführungen das Material liefern wird. 
Die zweite Hälfte des 13. und das beginnende 14. Jahrhundert darf man 
wohl als diejenige Zeit betrachten, in welcher die deutsche Litteratur und die 
bildenden Künste in ästhetischer Hinsicht ihre grösste Annäherung zu verzeichnen 
gehabt haben, sich am kongenialsten gewesen sind, ohne dass doch, wie dies etwa 
im 17. Jahrhundert der Fall war, das gemeinsame Niveau schlechthin als ein 
aiedriges bezeichnet werden muss. Aber eine gedeihliche Fortentwickelung unsereı 
Poesie wurde durch die Not der Zeit gehemmt, und die unheilvollen Jahre des 
[nterregnums haben unsere Poesie gewaltsam auf der schon betretenen Bahn des 
Niederganges vorwärts getrieben. Die hellleuchtenden Ideale des alten Rittertums 
mussten in dieser Zeit des rohesten Egoismus vor den materiellen Forderungen 
des täglichen Lebens erblassen, und immer mehr ward die deutsche Poesie der 
höfischen Erziehung und Bildung entfremdet. Dadurch aber löste sie sich allmählich 
äiberhaupt aus dem Leben der oberen Kreise, und so vor allem erklärt sich die 
entsetzliche Verwilderung, in der wir die deutsche Sprache am Ausgang des Mittel- 
alters, als die Pflege der deutschen Dichtung völlig in die Hände des Bürgerstandes, 
insbesondere der Handwerker, also der minder gebildeten Klassen, übergegangen 
war, antreffen. Wie aber hätte bei solcher Mangelhaftigkeit des Materials ein 
mustergiltiges Kunstwerk entstehen können! 
Ganz anders stand es beispielsweise mit der Malerei. Natürlich hatte auch 
sie unter der Ungunst der äusseren Verhältnisse schwer zu leiden, aber von vorn- 
nerein schon weit weniger auf die Gunst der höheren weltlichen Stände angewiesen 
als die Poesie, geriet sie auch nicht eigentlich in Misskredit wie diese; nur dass 
eben die Not der Zeit zu mannigfachen Beschränkungen in den Ausgaben nötigte, 
Zudem hatte sich seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts jene technische Erfindung 
des grossen flandrischen Brüderpaares ausgebreitet, die durch Anwendung eines 
neuen Bindemittels der Ölmalerei zu ihrem Rechte verhalf. Die natürliche Leucht- 
kraft der Farben und im Zusammenhang damit die grössere Leichtigkeit des Schaffens 
verlieh Freude und Schwung. Mit Liebe vertieft man sich in die sorgfältige Wieder- 
gabe aller Einzelheiten, ja man richtet bereits den begeistert forschenden Blick in 
die Natur, und so entsteht die eigentliche Porträtmalerei, so die Anfänge der
	        
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