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mit dem Wasser sei in den tieferen, in den unteren Gegenden der
Flußläufe. Unser Deichsystem ist im Prinzip falsch, für die Dauer
unhaltbar und ganz entschieden nur noch als eine Aushilfe in einem
großen Notstande anzusehen und einstweilen noch beizubehalten. Wenn
wir früher das Prinzip des Herrn Classen bereits angenommen hätten,
so würden uns die großen Verluste und viele Unglücksfälle, welche die
Fehler der Deichanlagen im Gefolge haben, erspart sein. Es ist ein
Unglück, daß wir in Deutschland noch nicht das Nachtheilige dieses
Deichsystems genügend eingesehen haben und dasselbe zu verlassen keine
Anstalt machen. Wir werden entschieden bald, von Jahr zu Jahr
mehr gezwungen sein, binnen kurz oder lang dieses System zu verlassen.
Unsere Deiche werden wie die Hochwässer, immer höher, unsere Thäler
werden immer mehr und mehr angebaut; umso größer sind also auch
Unglücksfälle bei Deichbrüchen; man weiß aber nicht, wann und wo
sie eintreten, deshalb muß man immerfort und überall die Deiche er—
höhen und verstärken. Schließlich wird zufällig oder in Folge von
Mängeln in den baulichen Anlagen doch ein Unglücksfall entstehen,
blos wann und wo weiß man nicht, aber je später er entsteht, desto
größer und entsetzlicher sind die Verluste an Menschenleben Und an
Gütern, an welchen Jahrhunderte Tausende von Menschen gearbeitet
haben. Um aus diesem Zustande endlich einmal herauszukommen,
bleibt nichts anderes übrig als: Weiheranlagen. Herr Classen
hat Ihnen nach meiner Ueberzeugung ganz richtig vorgehalten, daß die
Weiheranlagen einen Nutzen geben nicht blos mittelbar als Wasser—
behälter und Reservoire, sondern auch unmittelbar einen landwirt—
schaftlichen Nutzen; aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, so wird
uns schon die Deich-Not dazu treiben, Weiher einzurichten. Gewiß
wird es in sehr vielen Gegenden, wo die Bodenkultur schon bis weit
hinauf in die Berge gestiegen ist, mit großen Auslagen und Schwie⸗
rigkeiten verbunden sein, geeignete, billige und pafsende Stellen für
Weiher zu finden; indeß wenn man nur eifrig sucht, so findet man
auch, ich empfehle Ihnen noch einmal dringend ben Gedankeu des
Herrn Classen und seinen Vortrag zum Nachdenken und zur weiteren
Verarbeitung.
van den Wyngaert. Meine Herren! Ich kann Ihnen sofort
ein Beispiel aus der neueren Zeit vorführen, welches beweist, wie
leicht manchmal solche Anlagen don Weihern respektiven Wasserbehäl—
tern durchzuführen sind. In der großen Fabrikstadt Verviers in Vel—
gien, der ersten belgischen Stadt, welche man beschreitet, wenn man
von Deutschland mit der Eisenbahn nach Belgien kommt. Dort hat
man vor zwei Jahren ganz einfach einen Thalkessel durch eine Mauer
abgesperrt und jenseits der Mauer sammelt man das Wasser, eines
Gebirgsflusses die Gileppe das bis dahin im raschen Laufe den Berg
herunter kam. Die Folgen dieses künstliche Bassin welches man da
gebildet hat, ist so bedeutend, daß man damit umgeht, zirka 1100
Pferde-Dampfkräfte eingehen zu lassen und dafür das Wasser an
Stelle der Dampfmaschienen nuͤtzbar zu machen. Meine Herren, solche
Konfigurationen des Landes finden sich in vielen Fällen vor und, wie