Volltext: Adam Krafft und die Künstler seiner Zeit

28 
von demselben herab) oder waren, wenn dieses fortfiel, an einer Säule 
aufgehängt. Einige standen auch in Form eines mit einem Fuße ver— 
sehenen Türmchens, einem Kelche ähnlich, auf dem Altar. Im 
vierzehnten Jahrhundert fing man an, wohl der Sicherheit halber, 
die Hostie in einem mit eisernen Thüren versehenenen Wandschrank 
nahe dem Altar zu verschließen?). Als besonders heilige Stelle wurde 
er mit reichen gotischen Verzierungen versehen, oder es wurde ein 
selbständiges, an der Wand oder einem Pfeiler lehnendes Sakraments— 
häuschen aufgebaut, das einen für die ganze Gemeinde sichtbaren 
reichen Schmuck erhielt'). Dies bot den Künstlern die willkommenste 
Gelegenheit, sich in den Regeln des künstlichen Turmbaues zu ver— 
suchen, und bald wuchsen turmartige, mit unzähligen architektonischen 
Gliederungen und Bildwerken geschmückte Tabernakel anf. In der 
zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts zogen sie sich, aus un— 
endlich dünnen Steinrippen und zierlichen Strebepfeilern zusammen— 
gesetzt, bis zum Gewölbe der mächtigen Hallenkirchen hinauf. Ähn— 
liche turmartige Verzierungen brachte man an Altären, Taufbecken, 
Kanzeldecken und Chorstühlen an“). 
Die Blütezeit dieser gotischen Tabernakel, die um die Wende des 
fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts oft in spielerische Formen 
ausarteten, hatte nur eine Dauer von etwa 150 Jahren gehabt. Da— 
für waren sie damals fast ausnahmslos üblich und selbst in den ärmsten 
und einfachsten Dorfkirchen meist in Stein gehauen. Ihr Standort 
ist auf der Nordseite am Chor oder am Triumphbogen zwischen Schiff 
und Chor (wie in Ulm). Mit dem Absterben der Gotik schwinden 
diese turmartigen Gehäuse. 
Durch die gebogenen und verschlungenen Säulen entsteht scheinbar 
eine Verworrenheit, die jedoch bei sorgfältigerer Betrachtung in schönste 
Harmonie sich löst. In dem ganzen Aufbau könnte man sich das 
allerheiligste Altarsakrament als mysterium fidei symbolisiert denken, 
als ein Geheimnis, das allem menschlichen Erkennen verschlossen bleibt 
i) Bis in das XIV. Jahrhundert hinein. 
) So der in der Sebalduskirche aus Stein bestehende Sakramentsschrank. 
5) Nach Laib und Schwarz weist keine romanische Kirche ein turmartiges 
Sakramentshäuschen auf. 
Der schöne Schalldeckel der Kanzel im Ulmer Münster von Syrlin d. j. 
(1510) zeigt diesen turmartigen Aufbau. Ebenso finden sich turmartige Ver— 
zierungen an dem berühmten Chorgestühl (1469 - 1474) daselbst von Syrlin d. ä. 
und an dem prachtvollen Dreisitz (1468) am Eingang des Chores von demselben 
Meister.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.