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Der damalige Burghof erstreckte sich über die
ganze Breite des Platzes und erst später wurde der
Weg der jetzt in das Innere und zum Vestner Thore
hinausführt, angelegt.
Eppelein athmete hoch auf, als er in die freie
Luft trat und die Lust zum Leben erwachte in ihm
mächtiger als je. Er schritt mit dem Rath zur niederen
Brüstung vor und blickte sinnend hinüber nach dem
fernen Walde, hinter dem seine Heimath war, seine
Burgen lagen und die treuen Genossen seiner harrten.
Als der Rath seinen Schutzbefohlenen in einer so
wehmüthigen Stimmung sah, hielt er es für seine
Pflicht, das Bekehrungswerk zu versuchen, ihm in das
Gewissen zu reden und vor seinen Augen mit kräftigen
Farben ein Gemälde seines lasterhaften Lebenswandels
zu entwerfen. Listig, wie der Gailinger war, ging er
bald auf die Moral des immer eifriger sprechenden
Rathsherrn ein, weil ihm ein dunkles Vorgefühl sagte,
daß erheuchelte Reue ihm in seiner jetzigen Lage jeden—
falls von größerem Nutzen sein werde, als Widerstand
und Trotz. Aber während Herr Veit von Stark sich
in blumenreichen Sentenzen über die Freude der
Engel im Himmel bei der Bekehrung eines großen
Sünders erschöpfte, maß Eppelein unbemerkt die Tiefe
und Breite des Stadtgrabens, wobei ihm jedoch die Un—
möglichkeit klar wurde, ihn zu überspringen oder ohne
zerbrochene Glieder hinab zu kommen.
Endlich, nachdem der anscheinend bis zu Thränen
gerührte Ritter ihm sogar versprochen hatte, einen bis
jetzt hartnäckig verweigerten Priester vor sich zu lassen,
der das mit so großem Erfolg begonnene Bekehrungs⸗
werk vollenden könne, mahnte der Rath zum Aufbruch