296 v. Schubert, Der Streit über die Nürnberger Ceremönien,
pitel seines Buches zusammengestellt, aber die dies Kapitel
durchziehende und oft wiederholte Auffassung, daß der Ratio-
nalismus mit seiner Nüchternheit und Geschmacklosigkeit dem
in Alt-Nürnbergs Gottesdiensten besonders heimischen wunder-
bar reichen Glaubens- und Kunstleben zugleich das Grab be-
reitet habe, ist einseitig und darum nicht gerecht. Wohl hat
der sattsam bekannte Berliner Aufklärer Nikolai 1783 in seiner
„Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz
I, 297—8305“ ein klassisches Zeugnis des rationalistischen Mangels
an Verständnis für die ehrwürdigen nürnbergischen Ceremonien.
abgelegt. Aber genau im gleichen Jahre hat der badische Hof:
und Stadtvikar Rink auf einer Studienreise Nürnberg besucht:
die eigenen Eindrücke, die er in seinem Tagebuche verzeichnete,
zusammen mit dem Echo, das sie bei dem nürnb. Diakonus
J. G. Schöner fanden, stimmen beinahe wörtlich zu dem Urteil
Nikolais, s. die Mitteilungen Koldes oben S. 190f., und doch
war Schöner nach Thomasius, Das Wiedererwachen des ey.
Lebens in Bayern S. 93, gerade der Bahnbrecher der Über-
windung des Rationalismus, „der Erneuerer des evangischen
Lebens in Nürnberg“. Und nicht eben anders lauteten oben die
Vorwürfe Wölckerns, des Ansbacher Antagonisten, des „werten
Amtsbruders“ in N., der „Rigidisten“ überhaupt. Die Oppo-
sition reicht bis in den Anfang des 18. Jahrh., wo noch nicht
der Rationalismus, sondern der Pietismus die Blüte erlebte.
Unter Berufung wieder auf 1 Cor. 14, auf die Notwendigkeit
der Erbauung im Sinne energischer Förderung und intensiver
Pflege des inneren Lebens haben die „Rigidisten“ den alten Kampf
der „Schwärmer“ und der „Reformierten“ gegen die papistische
Liturgie als das Hauptstück einer glanzvollen, aber toten Kirch-
lichkeit aufgenommen... Der Pietismus hat (trotz Speners oben
angezogenem zurückhaltendem Bedenken) auch in diesem Punkte
dem Rationalismus vorgearbeitet, beide konnten weithin neben-
einander arbeiten, beiden war eine Verachtung der historischen
Tradition und des künstlerischen Geschmacks eigen. Nürnbergs
Gottesdienstordnung war alt und schön, aber sie war nicht er-
wecklich und nicht vernünftig, sie packte weder den Willen
noch schuf sie lichte Vorstellungen. Sie hatte ihre Zeit gehabt.