Noch einmal in der LCagunenstadt.
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kultus, zur Linken erscheinen noch andere Engel, welche die ringsum
knieenden Gestalten mit Kränzen von lebendigen Rosen krönen.
Zu Füßen der Madonna sitzt eine Engelfigur mit einer Mandoline.
Im Vordergrund knieen Papst Julius II. und Kaiser Marimilian J.
in weiten Purpurmänteln; dem erstern setzt das Christuskind,
dem letztern die Jungfrau Maria den Rosenkranz auf. Auch
andere bekannte Persönlichkeiten erscheinen auf dem Gemälde,
wie z. B. Meister Hieronymus von Augsburg, der Erbauer des
deutschen Kaufhauses in Venedig, im Hintergrunde rechts hat
Dürer seinen Herzensfreund Wilibald Pirkheimer verewigt und
neben ihm sich selbst.
Welch ein Gewimmel von Gestalten, und doch alles in
vollendeter Harmonie gruppiert; welch feierlicher Ernst über dem
Ganzen, und doch welche Freiheit und welches Leben allenthal—
ben! Über das alles aber, welcher Sonnenglanz und welche
Pracht der Farben! Die Feindlichgesinnten unter den Malern
hatten gehöhnt: „Zeichnen kann er zur Not, aber aufs Malen
versteht er sich nicht“ — jetzt waren sie stumm: vor solcher
Farbenherrlichkeit mußte der Spott beschämt den Mund ver—
schließen. Um so lauter rauschte die Begeisterung, und in ganz
Venedig redete man die folgenden Tage von nichts als von dem
Meister Dürer und seiner Schöpfung. —
Als der Strom der Neugierigen sich verlaufen hatte, trat
an einem Nachmittag, da Dürer bei dem Marchese Proschi zu
einem festlichen Gelag geladen war, eine vornehme Frau, von
einer Dienerin geleitet, in die Werkstatt bei der Rialtobrücke.
Sie ließ sich vor dem Bild auf einen Sessel nieder und saß lange,
lange in tiefem, feierlichem Schweigen, als wäre die Malerwerk—
statt eine Kirche und der Priester läse die Messe. Die feinen
Hände hatten sich auf ihrem Schoß gefaltet, und die Augen
glänzten von Thränen.