Aus Nacht zum Licht.
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„Leset! Leset!“ drängte Kaspar Nützel in den Kanzler, und
dieser folgte alsbald der Aufforderung, während die andern sich
um ihn drängten und lauschten.
Er war noch nicht gar weit gekommen, da rief Dürer
plötzlich dazwischen: „Hilf Gott, mir wird so bang!“ Und er
trat ans Fenster und preßte beide Hände gegen die Brust.
Scheurl winkte schnell einem Diener, einen Krug frischen
Wassers herbeizubringen, da wehrte Dürer ab: „Das Wasser
vermag's nicht, leset weiter, weiter!“
Scheurl fuhr fort, und mit jedem Satze steigerte sich der
Hörer Spannung.
Als er endlich geschlossen, entstand zunächst eine tiefe, feier—
liche Stille, dann rief Herr Hieronymus Holzschuͤher: „Das
Mönchlein ist ein Prophet des Höchsten, er hat den Mund auf—
gethan zum Zeugnis der Wahrheit. Siehe, wie Schuppen fällt
es mir anjetzo von den Augen! Lange schon bin ich im Geist
ergrimmt gewesen über das Unwesen, so die Ablaßkrämer trei—
ben, doch mehr über die schamlose Ausraubung des Volks. Nun
aber höre ich, daß der Ablaß überhaupt, wie ihn der Papst
treibet, vom Übel ist, auch wenn kein Geld dabei gefordert
wird.“
Herr Hieronymus Ebner fiel dem zu, meinte aber, indem
er plötzlich sehr ernst ward, „den Hus haben sie verbrannt, den
Savanarola desgleichen, vielleicht lodert bald ein dritter Schei—
terhaufen!“
„Das wolle Gott nicht!“ fuhr hier Dürer auf, und sein
Gesicht färbte sich mit tiefem Rot. „Soll's denn noch nicht
Zeit sein, daß sich der Herrgott seiner armen Christenheit er—
barme? Dem Martin Luther hat meine Seele zugejauchzet, seit
ich etwas von ihm vernommen, und in mir sprach's: der ist's,
der hat die Wahrheit! Sollte es Gott abermals zulassen, daß
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