Objekt: Albrecht Dürer

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Dreiundzwanzigstes Kapitel. 
es in seliger Wonne, sie herzt es in süßer Lust, sie bewundert 
sein Werden und Wachsen, sie freut sich mit ihm, sie leidet mit 
ihm. Sie ist nicht erhaben über das Los der allgemeinen mensch— 
lichen Hinfälligkeit und Vergänglichkeit, wie die italienischen Maler 
sie als in ewiger Jugend blühend darstellen, sondern sie wird 
alt und schwach, mit gebeugter Gestalt breitet sie die Arme über 
den gemarterten Sohn, ohnmächtig liegt die Greisin an dem Fuß 
des Kreuzes. 
So hatte dem Meister Dürer ein richtiges religiöses Gefühl 
die Hand geführt, und hier und da war die unbewußte Empfin— 
dung auch in Worten leis zu Tag gekommen. Den ersten seiner 
Reime, welche er im Jahre 1509 gemacht, hatte er die Über— 
schrift gegeben: „Eine jegliche Seele, die da ewiglich leben soll, 
die wird erquickt in Christo Jesu, der da ist aus zwei Substan— 
zen in einer Person, Gott und Mensch, was allein durch die 
Gnade geglaubt und durch die natürliche Vernunft nimmer ver— 
standen wird.“ Seinen Passionsbildern aber hatte er das Ge— 
bet angehängt: 
O, allmächtiger Herr und Gott, 
Die Marter, die gelitten hat 
Jesus, dein eingeborner Sohn, 
Damit er für uns g'nug hat thon, 
Betrachten wir mit Innigkeit. 
O Herr, gieb mir wahr' Reu und Leid 
Über mein' Sünd' und bessre mich, 
Das bitt ich ganz von Herzen dich! 
Herr, du hast überwindung thon, 
Drum mach mich teilhaft des Sieges Kron. 
So also hatte der fromme Mann in der Energie seines 
religiössen Gemüts die Wahrheit leise geahnt. Und nun lag vor 
ihm das Büchlein Luthers über das Vaterunser. Tagelang hatte
	        
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